Praxisvertretung bei Urlaub oder Krankheit: Der Vertretervertrag hat ausgedient
Niedergelassene Ärztinnen oder Ärzte, die sich in Urlaubs- oder Krankheitszeiten in ihrer Praxis durch Kollegen vertreten lassen wollen, sollten vorsichtig sein. In der Rechtsprechung werden die Praxisvertreter immer häufiger als abhängige und sozialversicherungspflichtige Beschäftigte der Praxis eingestuft.
Vom altbekannten Vertretervertrag muss inzwischen abgeraten werden. Das zeigt auch ein aktuelles Urteil des Bundessozialgerichts (BSG). In dem Fall stellte die Vertretertätigkeit einer in einem Krankenhaus angestellten Oberärztin in einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) in Fällen von Urlaub und Krankheit nach Auffassung BSG ebenfalls eine abhängige Beschäftigung dar (Urteil vom 19.10.2021, Az. B 12 R 1/21 R).
BSG: Berufszulassungsrechtliche Beurteilung spielt keine Rolle
Die Ärztin führte in dem Fall in der gastroenterologischen BAG unter anderem endoskopische Untersuchungen durch, schrieb Befundberichte und gab Therapieempfehlungen. Sie erhielt dafür eine Vergütung nach Arbeitsstunden. Das BSG ordnete die Ärztin als weisungsgebunden ein. Aufgrund des arbeitsteiligen Zusammenwirkens mit dem Praxispersonal und der kostenfreien Nutzung der Einrichtungen und Mittel der BAG sei sie in deren Arbeitsabläufe eingegliedert. Das ausschließliche Tätigwerden in einer Vertretungssituation ändere daran nichts. Dass mit der gewählten Ausgestaltung der ärztlichen Vertretung berufszulassungsrechtlichen Anforderungen Genüge getan wird, sei für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung einer Tätigkeit als Beschäftigung unerheblich, so das BSG.
Mehrheit der Urteile mit ähnlichem Tenor
Das jüngste Urteil des BSG, das den Gedankengang des BSG-Beschlusses vom 23.06.2020 (Az. B 12 R 11/20 B) fortführt, schlägt in die Kerbe einer Vielzahl der vorausgegangenen Urteile aus den Jahren 2018 bis 2021, in denen die befassten Gerichte ähnlich entschieden wie nun das BSG. Zwar gibt es weiterhin anderslautende ‒ meist untergerichtliche ‒ Urteile, die Mehrheit enthält gleichwohl einen dem BSG-Urteil ähnlichen Tenor.
Fazit: In der Konsequenz bedeutet dies für die Arztpraxen, dass der übliche Praxisvertreter als abhängig Beschäftigter über einen Dienst- bzw. Arbeitsvertrag in die Praxis eingebunden und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden sollten. Nur so schützen sich die Beteiligten vor langwierigen Streitigkeiten mit der Deutschen Rentenversicherung. Die Handhabe der Vergangenheit, die Vertreter über einen sogenannten Vertretervertrag als freie Mitarbeiter ärztliche Leistungen übernehmen zu lassen, ist nicht mehr empfehlenswert. Sollte ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis für die betreffende Praxis nicht in Betracht kommen, bleibt als einziger Ausweg vor bzw. bei Beginn der Tätigkeit ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren. Mit dem Statusfeststellungsverfahren soll den Beteiligten verbindlich Rechtssicherheit darüber verschafft werden, ob ein Auftragnehmer selbstständig tätig oder abhängig beschäftigt ist. Das Verfahren wird von der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung durchgeführt und kann von beiden Vertragspartnern schriftlich beantragt werden.
RAin, FAin MedizinR, Wirtschaftsmediatorin Dr. Mareike Piltz
HFBP Rechtsanwälte, Hannover