„Ein riesiger Benefit für Ärzte und Patienten“ – Dr. Karsten Klabe über die Stärken der MIGS-Verfahren

Die minimal-invasive Glaukomchirurgie (MIGS) hat der operativen Therapie des Glaukoms viele neue Optionen eröffnet – sei es mit oder ohne Einbringung eines Implantats. Ein Interview mit Dr. Karsten Klabe, leitender Operateur der Breyer, Kaymak & Klabe Augenchirurgie, über die Langzeitwirkung der MIGS-Verfahren und neue Entwicklungen.

© EYEFOX
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Seit zehn Jahren sind die MIGS-Verfahren im Einsatz. Wie haben sie die Glaukomtherapie verändert?

Dr. Karsten Klabe: Ich glaube, das wesentliche Momentum ist, dass wir begonnen haben, ganz neu über das Thema Therapie nachzudenken. Über viele Jahrzehnte waren Tropfen die Therapie der Wahl – auch bei fortgeschrittenem Befund oder rascher Progression. Über einen chirurgischen Eingriff wurde häufig erst zu einem späten Stadium nachgedacht, wenn schon erhebliche Schäden vorlagen. Hier hat mit der Einführung der MIGS nach meinem Dafürhalten ein Umdenken stattgefunden. Wir operieren inzwischen früher. Wir operieren konsequenter. Patienten, die ein Glaukom und gleichzeitig eine Katarakt haben, operieren wir in vielen Fällen standardmäßig mit kombinierten Verfahren. Es fand also schon eine Weiterentwicklung der Glaukomtherapie hin zu früheren chirurgischen Eingriffen statt.

Stichwort Adhärenz. Für einige Patientengruppen wären zum Beispiel Stents geeigneter als Tropfen.

Absolut. Das ist, denke ich, eines der wichtigsten Argumente, frühzeitig zu beginnen – sei es ein minimal-invasives glaukomchirurgisches Verfahren anzuwenden oder eine Selektive Laser Trabekuloplastik durchzuführen. Wir wissen: Medikamentöse Therapie hat eine schlechte Adhärenz. Bis zu 70 % der Patienten folgen den Therapieanweisungen nicht – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Sei es, weil sie nicht in der Lage sind, das Medikament so anzuwenden, wie es verordnet wurde. Sei es ganz einfach aus Vergesslichkeit oder weil es nicht in die Tagesroutine passt.  Andererseits haben die Betroffenen bis in das Spätstadium der Erkrankung keine Symptome, was die Therapieadhärenz zusätzlich erschwert. Wenn wir dieses Problem mit Hilfe von Lasern, von chirurgischen oder minimalinvasiv-chirurgischen Verfahren lösen können, bedeutet dies nicht nur für den behandelnden Augenarzt, sondern vor allem auch für den Patienten einen riesigen Benefit.

Für welche Patienten sind die MIGS-Verfahren am besten geeignet?

Das ist eine sehr gute und zugleich eine sehr schwierige Frage. Wir haben heute ganz unterschiedliche MIGS-Verfahren und wir haben Verfahren, die ein Bindeglied zwischen den klassischen MIGS und der klassischen Glaukom-Filtrationschirurgie bilden, sogenannte MIBS, Micro-Invasive Bleb Surgery, also die Schaffung einer Filtrationszone unter der Bindehaut mit einem im Vergleich zur klassischen Trabekulektomie weniger invasiven Verfahren. Mit dieser großen Vielfalt an verschiedenen chirurgischen Verfahren haben wir für sehr, sehr viele Patienten eine Therapieoption. Das beginnt bei milden bis moderaten Glaukomen, wo der Zieldruck nach der Operation nicht wesentlich niedriger als 18 mmHg liegen muss, bis hin zu fortgeschrittenen Glaukomen, wo wir einen Zieldruck von 14, 13 und niedriger benötigen, um eine Progression der Erkrankung zu stoppen. Hierfür stehen mittlerweile verschiedene Verfahren zur Verfügung, die unterschiedlich effektiv sind. Aber faktisch können wir heute fast alle Glaukomstadien mit diesen neuen Therapieverfahren behandeln.

Wie sieht es mit Langzeiterfahrungen aus? Müssen die Implantate irgendwann ausgetauscht werden

Ein wesentlicher Vorwurf in der Anfangszeit der minimal-invasiven Glaukomchirurgie lautete verständlicherweise, dass keine Langzeitdaten vorliegen. Mittlerweile haben wir Daten über fünf bis maximal zehn Jahre. Und wir sehen, dass unterschiedliche Verfahren eine unterschiedlich lange Wirkdauer haben. Wir sehen beispielsweise chirurgische Verfahren, die den Kammerwinkel partiell öffnen, aber nur ein bis zwei Jahre wirken. Bei den Stent-Verfahren unterscheidet sich die Wirksamkeit vom Design der Stents und den adressierten Zielstrukturen. Andererseits werden auch die Stents modifiziert, um eine verbesserte und verlängerte Wirksamkeit zu erreichen. Die Haltbarkeit der Implantate ist sicherlich kein Problem. Sie sind heute so stabil, dass sie ein Menschenleben lang halten können. Es treten allerdings Vernarbungen und Überwachsungen auf, die die Anwendungsdauer limitieren. Das hängt zum Teil von den Formen des Glaukoms und den anatomischen Gegebenheiten ab. Auf der anderen Seite sehen wir, dass diese Verfahren wirklich über einen Zeitraum von 5 bis 10 Jahren durchaus wirksam sein können – ein ganz wichtiges Argument für ihre Anwendung.

Welche MIGS-Verfahren sind in den letzten ein, zwei Jahren hier in Deutschland zugelassen worden?

Neben dem bekannten iStent in der nunmehr dritten Generation, den wir zur Verfügung haben für die Behandlung des Abflusswiderstands im Trabekelmaschenwerk, ist ein neuer Stent – Hydrus Microstent genannt – auf den Markt gekommen, der als eine Art Gerüstwerk den Schlemm'schen Kanal erweitert und partiell öffnet. Wir haben ganz aktuell seit Ende des Jahres wieder die Möglichkeit, den sogenannten suprachoroidalen Abflussweg zu adressieren – mit einem schwammartigen Silikonimplantat, dem MINIject, den wir als Stent implantieren, um den Augendruck zu senken. Ein Verfahren, das wir lange Zeit nicht zur Verfügung hatten, weil das ursprüngliche Produkt vom Markt genommen wurde. Wir haben Modifikationen der Stents zur Drainage unter die Bindehaut. Also für alle drei Abflusswege, die wir chirurgisch angehen können, sind neue Verfahren auf den Markt gekommen. Es stehen daneben auch Verfahren zur Verfügung, die insbesondere im Bereich des Trabekelmaschenwerks implantatfrei arbeiten – seien es laserchirurgische Verfahren oder die Aufdehnung des Schlemm'schen Kanal mit einem Viscoelastikum. Hier tut sich sehr, sehr viel. Manchmal hat man vielleicht den Eindruck, das wird jetzt einfach zu viel. Aber die Behandlung von Glaukomen und damit auch die Glaukomchirurgie sind komplex. Wir Rheinländer pflegen zu sagen: Jeder Jeck ist anders – und viele Glaukome haben eben auch unterschiedliche Pathomechanismen und Ausprägungen, sodass es durchaus sinnvoll ist, unterschiedliche Abflusswege anzugehen. Insbesondere die Langzeitverträglichkeit und der Langzeiteffekt werden dann entscheiden, welche Verfahren sich durchsetzen. Es gibt noch sehr, sehr viel Bewegung auf diesem Feld.

Zu welchen Verfahren laufen gerade interessante Studien?

Insbesondere die implantatfreien Verfahren, die den Schlemm'schen Kanal und das Trabekelmaschenwerk zum Ziel der Behandlung haben, werden momentan einer kritischen klinischen Prüfung unterzogen – hinsichtlich Effektivität und auch Langzeitwirkung. Die suprachoroidalen Verfahren, die gerade erst eingeführt wurden, bedürfen noch der klinischen Prüfung. Laserverfahren, insbesondere ab interno Verfahren, zu denen bereits vor 20, 25 Jahren erste Anwendungen eingeführt wurden, werden weiterentwickelt und verfeinert und müssen mit standardisierten Protokollen ihre Wirksamkeit erweisen.

Wenn Sie in die Zukunft denken, was erwarten Sie? Was ist in der Pipeline?

Am liebsten hätten wir natürlich die eine Operation, die alle Probleme löst. Ein interessanter Weg ist beispielsweise die direkte Drainage des Kammerwassers auf die Oberfläche des Auges. Hierzu liegen insbesondere von der Arbeitsgruppe um Burkhard Dick aus Bochum erste vielversprechende Erfahrungen vor, jedoch noch mit einer sehr limitierten Anzahl von Patienten. Das sind ganz anders gedachte glaukomchirurgische Verfahren, die hochinteressant sind. Wenn sie sich als wirksam erweisen und einfach anzuwenden sind, werden sie die Glaukomchirurgie für ein noch größeres Spektrum öffnen. Es bleibt auf jeden Fall spannend in der Glaukomchirurgie!