3D-Darstellung der molekularen Organisation von Stäbchen-Photorezeptorzellen
Forschende am Institut für Auditorische Neurowissenschaften, am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften und an der abberior Instruments GmbH nutzen hochauflösende 3D-MINFLUX Technologie für präzise 3D-Darstellung der molekularen Organisation in der aktiven Zone von Stäbchen-Photorezeptorzellen der Netzhaut.
Bei der Wahrnehmung und Weiterleitung von Signalen aus der Umwelt spielt die aktive Zone von chemischen Synapsen eine große Rolle. Wird eine Nervenzelle durch einen äußeren Reiz erregt, verschmelzen in dieser besonderen Ausschüttungszone Transporter-Strukturen, sogenannte synaptische Vesikel, mit der Membran. Dabei werden Neurotransmitter freigesetzt. Diese chemischen Botenstoffe gelangen durch den synaptischen Spalt an eine nachgeschaltete Nervenzelle und geben so die Reizinformation weiter. Wie genau die Organisationsstruktur der aktiven Zone aussieht, war bisher nicht bekannt.
Forschende um Prof. Dr. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), Sprecher des Exzellenzclusters Multiscale Bioimaging (MBExC), haben nun faszinierende Erkenntnisse über die molekulare Organisation in der aktiven Zone von Stäbchen-Photorezeptorzellen aus der Netzhaut des Auges gewonnen. Stäbchenzellen spielen für die Bildwahrnehmung eine Rolle und sind aufgrund ihrer komplexen Morphologie ein attraktives Ziel für den Einsatz hochauflösender 3D-Bildgebungsverfahren.
Detailaufnahmen der aktiven Zone der Synapse mit einer Präzision von wenigen Nanometern
In Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften (MPI-NAT), dem Sonderforschungsbereich 1286, und der Firma abberior Instruments GmbH gelang es ihnen, höchstauflösende 3D-MINFLUX-Nanoskopie mit einer neuartigen Technik der Gewebeimmobilisierung zu kombinieren. So ließen sich dreidimensionale Detailaufnahmen von der aktiven Zone der Synapse mit einer Präzision von wenigen Nanometern erstellen. Auf diese Weise konnten die Forscher die molekulare Landkarte der aktiven Zone von Photorezeptoren entschlüsseln. Die spektakulären Bilder und Erkenntnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift Science Advances publiziert.
3D-MINFLUX-Aufnahme des Proteins Bassoon in den Synapsen von Stäbchen-Photorezeptoren, die mit Hilfe von Heat Assisted Rapid Dehydration (HARD) aufbereitet wurden. Die z-Koordinate ist farbkodiert, um die beiden parallelen Molekülreihen zu verdeutlichen, die die aktive Zone umgeben. (Quelle: abberior Instruments) |
„Über eine neuartige Technik der Probenimmobilisierung, die wir als wärmeunterstützte schnelle Dehydrierung (Heat Assisted Rapid Dehydration; HARD) bezeichnen, wird eine dünne Schicht von synaptischen Stäbchenendigungen von frischen Netzhautschnitten auf Glasdeckgläser aufgebracht“, sagt Dr. Chad Grabner, Wissenschaftler*innen am MPI-NAT und der UMG und einer der beiden Erstautor*innen. „In Kombination mit dem von Nobelpreisträger Prof. Dr. Stefan W. Hell vom MPI-NAT entwickelten optischen 3D-MINFLUX-Nanoskopie-Verfahren lassen sich damit für die Signalübertragung wichtige Proteine an den bandförmigen aktiven Zonen der zuvor fluoreszenz-markierten Stäbchensynapsen in bisher unerreichter Präzision in 3D abbilden“, so die zweite Erstautorin Dr. Isabelle Jansen von der abberior Instruments GmbH. Das kombinierte Verfahren ermöglichte die räumliche Darstellung von etwa 1.000 Einzelmolekül-Fluoreszenzereignissen mit einer Auflösung von vier bis sechs Nanometern in weniger als 30 Minuten.
Neue Einblicke in die Struktur und Funktion der Stäbchensynapse
Die Wissenschaftler*innen zeigten zudem erstmals, dass die Proteine der aktiven Zone über etwa einen Mikrometer wie Bahngleise in parallelen Reihen auf beiden Seiten der bandförmigen Zone angeordnet sind. Eine Kontinuität, die darauf hindeutet, dass die Vesikel-Freisetzungsstellen seriell in regelmäßigen Abständen entlang der aktiven Zone angeordnet sind. Dabei scheinen die Proteine der angenommenen Vesikel-Freisetzungsstellen nur wenige Nanometer voneinander entfernt. „Dies ist eine sehr wichtige Erkenntnis. Sie ermöglicht neue Einblicke in die Struktur und Funktion der Stäbchensynapse und der aktiven Zone im Allgemeinen“, sagt Prof. Moser. „Unsere Studie zeigt darüber hinaus, dass die Kombination aus MINFLUX und HARD-Technologie einen leistungsfähigen Ansatz darstellt, um die Struktur von Synapsen und anderen nanoskaligen Funktionseinheiten von Zellen im gewebenahen Kontext zu entschlüsseln.“
Für Dr. Christian Wurm, Leiter der Applikation bei abberior Instruments und Mitautor der Publikation, sind die Ergebnisse ein Zeichen des Erfolgs für die Transferbemühungen des Unternehmens. Erst kürzlich wurde abberior Instruments mit dem Technologietransferpreis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft ausgezeichnet. „Wissenschaftlern den Zugang zu bahnbrechenden Technologien wie MINFLUX zu ermöglichen, ist der Schlüssel zum wissenschaftlichen Fortschritt", betont er: „Innerhalb von weniger als vier Jahren nach seiner ersten Demonstration haben wir MINFLUX zu einem einsatzfertigen System entwickelt. Jetzt können wir gemeinsam mit Forschenden eine neue Welt der Möglichkeiten erkunden. Die Aufklärung molekularer Architekturen durch Bildgebung hat sich als ein wichtiges Anwendungsgebiet erwiesen."
Das Göttinger Exzellenzcluster 2067 Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen (MBExC) wird seit Januar 2019 im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert. Mit einem einzigartigen interdisziplinären Forschungsansatz untersucht MBExC die krankheitsrelevanten Funktionseinheiten elektrisch aktiver Herz- und Nervenzellen, von der molekularen bis hin zur Organebene. Hierfür vereint MBExC zahlreiche universitäre und außeruniversitäre Partner am Göttingen Campus. Das übergeordnete Ziel ist: den Zusammenhang von Herz- und Hirnerkrankungen zu verstehen, Grundlagen- und klinische Forschung zu verknüpfen und damit neue Therapie- und Diagnostikansätze mit gesellschaftlicher Tragweite zu entwickeln.
Der Mikroskophersteller und -innovator abberior Instruments GmbH ist spezialisiert auf erstklassige superauflösende Lösungen für die Bildgebung. Das Unternehmen wurde 2012 durch Wissenschaftler*innen um den späteren Nobelpreisträger Stefan W. Hell gegründet. Als Ausgründung aus dem MPI-NAT in Göttingen und dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg legt abberior Instruments hohen Wert auf aktive wissenschaftliche Zusammenarbeit und Transfer. Das Unternehmen hat es sich zur Aufgabe gemacht, Wissenschaftler*innen in der biologischen und medizinischen Forschung einen direkten Zugang zu bahnbrechenden Entwicklungen in der beugungs-unbegrenzten Mikroskopie, einschließlich MINFLUX-Imaging, zu ermöglichen. Gegenwärtig beschäftigt abberior Instruments über 100 Mitarbeiter*innen in Europa, Amerika und Asien und hat Hunderte von Mikroskopen in mehr als 30 Länder geliefert.
Originalpublikation:
Originalpublikation: Grabner CP, Jansen I, Neef J, Weihs T, Schmidt R, Riedel D, Wurm CA, Moser T (2022) Resolving the molecular architecture of the photoreceptor active zone with 3D-MINFLUX. Science Advances (2022),Vol 8, Issue 28.
DOI: 10.1126/sciadv.abl7560
Quelle: Universitätsmedizin Göttingen - Georg-August-Universität