Hoffnung für LHON-PatientInnen: Vielversprechende Studienergebnisse für GS010

Auf dem Symposium von GenSight Biologics beim Kongress der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) gaben Dr. Teresa Neuhann, Medizinisch Genetisches Zentrum München, Prof. Wolf Lagrèze, Klinik für Augenheilkunde Freiburg, sowie Prof. Thomas Klopstock, Friedrich-Baur-Institut LMU München, einen umfangreichen Ein- und Ausblick zum Thema „Genomische Medizin bei der Leberschen Hereditären Optikus Neuropathie (LHON)“.

Zentralskotom bei LHON. Bild: GenSight Biologics
Zentralskotom bei LHON. Bild: GenSight Biologics

Wichtigste Erkenntnisse waren, dass sich mit GS010 (Lenadogen nolparvovec) eine vielversprechende neue Therapieoption im Zulassungsprozess der Europäischen Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency, EMA) befindet, die bei LHON-PatientInnen mit einer mitochondrialen 11778 G>A ND4-Mutation zu einer signifikanten und langanhaltenden Visusverbesserung bei einem günstigen Sicherheitsprofil führen kann. 

„Die Lebersche Hereditäre Optikus Neuropathie ist mit einem plötzlichen und massiven Verlust der Sehkraft assoziiert. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene leiden stark an dieser seltenen, durch eine Degeneration der retinalen Ganglienzellen hervorgerufenen Erkrankung, aber auch atypische Verläufe im Kindesalter und im Alter von > 50 Jahren werden beobachtet“, so Neuhann im Rahmen ihres Vortrags auf dem DOG-Kongress. 

Über die Lebersche Hereditäre Optikus Neuropathie (LHON) 

LHON ist eine seltene, maternal vererbte, mitochondriale genetische Erkrankung, die durch die Degeneration von retinalen Ganglienzellen und einem damit einhergehenden massiven und irreversiblen Sehverlust in beiden Augen gekennzeichnet ist. Die Erkrankung, die zur gesetzlichen Blindheit führen kann, betrifft hauptsächlich Jugendliche und junge Erwachsene, vorwiegend Männer. LHON ist mit einem schmerzlosen, plötzlichen Verlust des zentralen Sehvermögens in einem Auge und einer rasch einsetzenden Beeinträchtigung des zweiten Auges verbunden, sodass nach einem Jahr 97 Prozent der PatientInnen eine bilaterale Beteiligung aufweisen. In Deutschland liegt die geschätzte Inzidenz von LHON bei etwa 40-80 Neuerkrankungen pro Jahr.2 

Mehr als 90 % der LHON-Fälle werden durch drei primäre Mutationen (MT-ND1 m.3460G>A, MT-ND4 m.11778G>A und MT-ND6 m.14484T>C) in den mitochondrialen MTND-Genen verursacht, die für Untereinheiten des Komplexes I der Atmungskette kodieren.1 Trägt man eine mit LHON assoziierte Genveränderung in sich, bedeutet dies jedoch nicht, dass man automatisch daran erkrankt. Laut Neuhann erkranken rund 50 % der männlichen Anlageträger und 10 % der weiblichen Anlageträgerinnen an einer LHON. Auslösende Faktoren wie zum Beispiel Alkohol, Tabak und blausäurehaltige Lebensmittel (z. B. Bittermandeln) werden derzeit diskutiert. 

Die Diagnose – Gewissheit durch Next Generation Sequencing 

Eine sichere und schnelle Detektion einer LHON kann heutzutage relativ einfach via Panel-Diagnostik mittels Next Generation Sequencing (NGS) umgesetzt werden, so Neuhann.2 „Kosten einer humangenetischen Beratung und Diagnostik werden in der Regel extrabudgetär von den Krankenkassen getragen und jeder Arzt bzw. jede Ärztin kann diese Untersuchung veranlassen“, unterstrich Neuhann. Dabei sei bei einer diagnostischen Untersuchung nicht zwingend zuvor eine humangenetische Vorstellung nötig. Bei auffälligem Befund sollte jedoch immer auch eine genetische Beratung angeboten werden, betonte Neuhann. 

GS010 (Lenadogen nolparvovec) – Gentherapie für LHON-PatientInnen in Aussicht 

Derzeit befindet sich die Gentherapie GS010 (Lenadogen nolparvovec) im europäischen Zulassungsprozess und bietet so Anlass zur Hoffnung für Betroffene. „Bei der Behandlung mit GS010 handelt es sich um eine einmalige Injektion in den Glasköperbereich beider Augen. Eine normale, sogenannte Wildtyp-Kopie des bei ND4-LHON betroffenen Gens wird in einen Virus verpackt und findet ihren Weg in die Ganglienzellen der Netzhaut. Bislang kann das mitochondriale Erbgut nicht direkt mit der Gentherapie erreicht werden, daher wird das Wildtyp-Gen in den Zellkern der betroffenen Zellen integriert und dort in Boten-RNA abgelesen. Diese wiederum wird im Zytoplasma der Zellen in das entsprechende Eiweiß übersetzt, welches dann seinen Weg in die Mitochondrien findet“, erläutert Lagrèze die Wirkweise von Lenadogen nolparvovec. 

Über GS010 (Lenadogen nolparvovec) 

GS010 (Lenadogen nolparvovec) zielt auf LHON, indem es eine proprietäre Technologieplattform für die MTS nutzt. So können Defekte innerhalb der Mitochondrien mit Hilfe eines AAV-Vektors (Adeno-Associated Virus) gezielt behandelt werden. Das Zielgen wird in die Zellen transferiert, wo das funktionale Protein gebildet werden kann. Dieses wird anschließend über eine spezifische Nukleotidsequenz in die Mitochondrien transportiert, um dort die fehlende oder mangelhafte mitochondriale Funktion wiederherzustellen. Lenadogen nolparvovec befindet sich derzeit in der Überprüfungsphase seines Registrierungsprozesses in Europa. 

Signifikante und nachhaltige Verbesserung der Sehschärfe bei LHON-PatientInnen

 „Im Falle einer Zulassung steht mit GS010 eine weitere wirksame Therapieoption für die sehr seltene Erkrankung LHON in Aussicht. Der klinische Nutzen wurde in drei Phase-III-Studien (REVERSE, RESCUE, REFLECT) nachgewiesen. Es zeigte sich eine signifikante Überlegenheit gegenüber dem natürlichen Verlauf und das bei einem guten Sicherheitsprofil“, so Klopstock im Rahmen seines Vortrags. 

In den klinischen Phase-III-Studien REVERSE3 und RESCUE4 wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von einmaligen unilateralen intravitrealen Lenadogen nolparvovec-Injektionen bei LHON-PatientInnen mit einer mitochondrialen 11778 G>A ND4-Mutation untersucht. Durch die Behandlung wurde ein klinisch bedeutsamer Nutzen von +28 bzw. +26 EDTRS-Buchstabenäquivalenten gegenüber Nadir (mehr als +5 Linien auf der EDTRS-Sehtafel) erreicht.3,4 

Bei unilateral behandelten ProbandInnen zeigte sich ein kontralateraler Effekt in dem mit Placebo behandelten Auge. Dieser kontralaterale Behandlungseffekt wurde sowohl in den klinischen Phase-III-Vorgängerstudien REVERSE als auch RESCUE beobachtet und in der REFLECT-Studie bestätigt.3,4,5 Laut Klopstock könne die Erklärung darin liegen, dass das Gentherapie-Konstrukt über die Sehnerven auch in das kontralaterale Auge wandern kann. 

Die REFLECT-Studie untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit der intravitrealen Injektion (IVT) bei 98 ProbandInnen mit LHON über zwei Jahre. Alle Betroffenen erhielten eine GS010-IVT in ihr erstes betroffenes Auge. Das zweite betroffene Auge erhielt nach dem Zufallsprinzip entweder eine zweite intravitreale GS010-Injektion oder eine Placebo-Injektion, die am selben oder nächsten Tag verabreicht wurde.

Nach zwei Jahren wiesen 73 % der bilateral behandelten PatientInnen im Vergleich zu 66 % der einseitig behandelten Probanden nach wie vor eine klinisch bedeutsame Verbesserung von mindestens -0,3 LogMAR (+15 ETDRS-Buchstaben) auf.5 

  • Die bilateral behandelten PatientInnen wiesen durchweg 5 bis 7 % höhere Ansprechraten auf als die Betroffenen mit nur einer GS010-Injektion. 
  • Der mittlere Visus betrug bei bilateral und unilateral behandelten PatientInnen 1,32 bzw. 1,44 LogMAR. 
  • 77 % der bilateral behandelten PatientInnen, die zum Zeitpunkt der Behandlung Off-Chart waren, wechselten nach zwei Jahren in den On-Chart-Status, vs. 33 % im unilateralen Arm. 

Es konnte gezeigt werden, dass mit Hilfe der GS010-IVT eine statistisch signifikante Verbesserung der Sehschärfe gegenüber dem Ausgangswert erreicht werden konnte. Dabei erwies sich die Wirkung nach zwei Jahren als noch ausgeprägter als nach 1,5 Jahren.5 

Langanhaltende Sehkraftverbesserung bei günstigem Sicherheitsprofil 

Bestätigt wurden die langanhaltende Wirksamkeit und Sicherheit der GS010-Therapie durch die Ergebnisse der Langzeit-Follow-up-Studie RESTORE.6 Zur Teilnahme eingeladen wurden 62 PatientInnen der Phase-III-Zulassungsstudien RESCUE4 und REVERSE3 zwei Jahre nach der einmaligen Injektion. 

Hier konnte gezeigt werden, dass auch 5 Jahre nach der Behandlung die Verbesserung gegenüber dem Nadir anhielt und sich tendenziell zu den Erhebungsterminen 2, 3 und 5 in den behandelten Augen um 0,38, 0,41 und 0,44 logMAR verbesserte.

Auch in dieser Studie war Lenadogen nolparvovec gut verträglich. Die positiven Effekte und die gute Verträglichkeit machten sich zudem in der Lebensqualität bemerkbar. Diese verbesserte sich gegenüber dem Ausgangswert um ein klinisch bedeutsames Maß. 

Zusammenfassend könne gesagt werden, dass das Sicherheitsprofil bei bilateraler und unilateraler Behandlung vergleichbar und günstig war und GS010 eine konsistente Wirksamkeit über alle drei 

Phase-III-Studien RESCUE, REVERSE und REFLECT hinweg zeigte, wobei die Verbesserung bei beidseitig behandelten PatientInnen tendenziell größer war, so das Fazit von Klopstock. 

Quelle: GenSight Biologics

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1 MGZ - Medizinisch Genetisches Zentrum, Lebersche Hereditäre Optikusneuropathie (LHON), abrufbar unter: https://www.mgz-muenchen.de/erkrankungen/diagnose/lebersche-hereditaere-optikusneuropathie-lhon.html, zuletzt geöffnet am 05.10.2022 

2 Yu-Wai-Man P, Chinnery PF. Leber Hereditary Optic Neuropathy in GeneReviews 2000. Last update: June 23, 2016. 

3 Yu-Wai-Man P, Newman NJ, Carelli V, et al. Bilateral visual improvement with unilateral gene therapy injection for Leber hereditary optic neuropathy. Sci Transl Med. (2020) 12:eaaz7423. doi: 10.1126/scitranslmed.aaz7423. 

4 Newman NJ, Yu-Wai-Man P, Carelli V, et al. Efficacy and safety of intravitreal gene therapy for Leber hereditary optic neuropathy treated within 6 months of disease onset. Ophthalmology (2021) 128:649–60. doi: 10.1016/j.ophtha.2020.12.012. 

5 Pressemitteilung GenSight Biologics, April 2022 

6 Biousse, V, Newman, N, Yu-Wai-Man P, et al. Long-Term Follow-Up After Unilateral Intravitreal Gene Therapy for Leber Hereditary Optic Neuropathy: The RESTORE Study, J Neuroophthalmol. (2021) 41: 309-315. doi: 10.1097/WNO.0000000000001367.