Ökologische Nachhaltigkeit in der Augenheilkunde – (wie) kann das gelingen?

Die ökologische Nachhaltigkeit ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit, dem sich alle gesellschaftlichen Akteure auseinandersetzen müssen – auch die Augenärztinnen und Augenärzte. Ein Statement von Prof. Dr. Gerd Geerling, Präsident des DOG Kongresses 2022 und Direktor der Universitätsaugenklinik Düsseldorf.

© pexels / vlada karpovich
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Das Gesundheitswesen ist mit circa vier Prozent der globalen Treibhausgasemissionen der viertgrößte Mitverursacher des Klimawandels. Bereits 2018 hat die WHO Nachhaltigkeitsziele für das Gesundheitswesen definiert und der englische National Health Service (NHS) einen Dreijahresplan für ein „Sustainable Development Management“ vorgelegt. Im November 2021 hat der Deutsche Ärztetag für 2030 ein „klimaneutrales Gesundheitswesen“ als Ziel gesetzt und alle medizinischen Disziplinen aufgefordert, konkrete Vorschläge zu erarbeiten.

In der Augenheilkunde stellen insbesondere die Makuladegeneration und die Katarakt Volkskrankheiten dar, die beide mit je circa einer Million operativer Eingriffe pro Jahr versorgt werden. Andere Erkrankungen wie das Glaukom, das trockene Auge oder auch die diabetische Netzhauterkrankung müssen zwar nicht so häufig operativ, aber über Jahre konservativ betreut werden. Für diese Behandlungen werden entsprechend Ressourcen zum Beispiel in Form von Verbrauchsmitteln, aber auch durch die Vorhaltung von Infrastruktur, Nutzung von Verbrauchsmitteln oder Mobilität von Patienten und Personal eingesetzt. Dies resultiert in einem entsprechend großen CO2-Fußabdruck.

Die DOG erstellt aktuell ein Positionspapier, in dem konkrete Handlungsanleitungen für die Krankenversorgung in Klinik und Praxis, aber auch für Forschung und Lehre definiert werden. Zusätzlich hat sie das Thema der „ökologischen Nachhaltigkeit“ erstmals zum Schwerpunkt ihrer Jahrestagung vom 29. September bis 2. Oktober 2022 in Berlin gemacht. Die Tagung präsentierte unter dem „DOG pura“-Label mehrere Keynote-Lectures und Symposien zu den Auswirkungen des Klimawandels in der augenärztlichen Patientenversorgung. Natürlich wurde aber auch der Papierverbrauch reduziert, Wert auf möglichst umweltfreundliche Drucksachen und nachhaltige Partner in der Kongress-Organisation gelegt, der Fleischanteil beim Catering reduziert und die Anreise zum Kongress per Bahn unterstützt. Zusätzlich wurde erstmals ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben, dessen Preisträger*innen bei der Eröffnungsveranstaltung der Tagung ausgezeichnet werden, und die ophthalmologische Industrie wurde aufgefordert, Nachhaltigkeitskonzepte für ihren Auftritt in der Industrieausstellung vorzulegen. Hier wie für die tägliche Patientenbetreuung gilt die 5R-Regel (Reduce – Recycle – Reuse - Rethink – Research).

Am Beispiel der Katarakt-Operation hat sich gezeigt, dass verschiedene Maßnahmen CO2-Emissionen vermeiden können. Bei einer Million Operationen pro Jahr kann der CO2- Fußabdruck des Eingriffs rechnerisch von 180 000 auf 5 000 Tonnen reduziert werden.1 Bei der Durchführung der Operation sollte der Materialeinsatz auf das Notwendigste reduziert werden. Waschbare, wiederverwertbare OP-Textilien verursachen eine um 30 bis 50 Prozent geringere CO2-Emission als Einmaltextilien, die mit 200 bis 300 Prozent mehr Energie- und Wasserverbrauch und 750 Prozent mehr Müll verbunden sind. Wenn eine Narkose erforderlich wird, sollten möglichst umweltschonende Inhalations-Anästhetika bevorzugt werden. Dies kann den CO2-Fußabdruck auf ein Zwanzigstel senken. Für Standardsituationen wie eine normale Katarakt ist die moderne OP-Technik mittels Ultraschalleinsatz seit Jahrzehnten ausgereift. Aufwendige technische Neuerungen wie die Laser-Katarakt-Chirurgie mit erheblich erhöhtem Ressourcen-Verbrauch ohne nachgewiesenen Vorteil für Patienten mit unkompliziertem grauem Star sollten speziellen Situationen in wenigen Zentren vorbehalten bleiben.

Für die postoperative Betreuung hat sich in klinischen Studien gezeigt, dass nach einer komplikationslosen Augenoperation eine geringe Zahl an Kontrolluntersuchungen ausreicht, ohne dass sich daraus Nachteile für den Patienten ergeben.2 Standardisierte Telefonkonsultationen können einige Kontrollen beim Augenarzt ersetzen, erhöhen die Patientenzufriedenheit und reduzieren die CO2-Produktion durch weniger Fahrten der Patienten. Sofern bildgebende Verfahren in der Breite einfach zugänglich werden, könnten telemedizinische Versorgungsansätze den direkten Arzt-Patienten-Kontakt ergänzen. Solche Befunde müssen aber weiterhin von fachlich qualifizierten Augenärzten ausgewertet werden.2

Oberstes Ziel ist eine gleichbleibend hohe Versorgungsqualität mit möglichst geringem Ressourcenverbrauch in der modernen Augenheilkunde.

Professor Dr. med. Gerd Geerling
Präsident des DOG Kongresses 2022; Direktor der Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Düsseldorf

Literatur:
1 Wirbelauer, C., Geerling, G. Ressourceneinsatz in der Kataraktchirurgie – mehr Müll geht (n)immer. Die Ophthalmologie 119, 561-566 (2022).
2 Birtel, J., Heimann, H., Hoerauf, H., Helbig, H., Schulz, C., Holz, F. G., Geerling, G. Nachhaltigkeit in der Augenheilkunde. Adaptation an die Klimakrise und Mitigation. Die Ophthalmologie 119, 567-576 (2022).