Neues zum Trockenen Auge
Beim diesjährigen DOG-Kongress in Berlin gab Prof. Dr. Elisabeth M. Messmer, Oberärztin an der Augenklinik und Poliklinik des Klinikums der Universität München, ein Update zum Trockenen Auge. Sie widmete sich u.a. den Themen MADE (Mask-associated Dry Eye), Real Life Data zu Ciclosporin A, einem Nasenspray zur Therapie des Trockenen Auges sowie zwei Wirkstoffen mit erheblichen Nebenwirkungen an der Augenoberfläche.
Mask-associated Dry Eye (MADE)
Seit der COVID-19-Pandemie ist auch die Anzahl der Patienten, die an Trockenem Auge leiden, gestiegen. Einer der Gründe: das Mask-associated Dry Eye (MADE) oder Masken-assoziiertes Trockenes Auge (MATA). Bei einer aktuellen chinesischen Beobachtungsstudie mit rund 7.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern trat es bei ca. acht Prozent der Probanden auf – als Neuerkrankung, aber auch als Verschlechterung bei bereits bestehendem Trockenem Auge. MADE verursacht spezifische Veränderungen im Tränenfilm – etwa eine Zunahme von proentzündlichen Interleukinen und Leukozyten sowie der natürlichen Killerzellen.
Sharon D’Souza (Bangalore) untersuchte klinische Parameter der Augenoberfläche wie lösliche Faktoren im Tränenfilm und den Anteil der Immunzellen vor der Maskenperiode im Jahr 2019 und dann im Vergleich während der Covid-Pandemie 2020 (Altered Ocular Surface Health Status and Tear Film Immune Profile Due to Prolonged Daily Mask Wear in Health Care Workers). Ihre Probanden waren Personen, die ihre Maske etwa acht Stunden täglich trugen. Es wurde ein signifikanter Anstieg des Ocular Surface Disease Index (OSDI) beobachtet, allerdings ohne Veränderungen der Tränenfilmaufreißzeit, des Schirmer-Tests 1 und des Objective Scatter Index (OSI). Dagegen hatten sich proentzündliche Interleukine erhöht, ebenso die Zahl der Leukozyten und der natürlichen Killerzellen. Außerdem lag eine veränderte Muzin-Expression vor. Es wurden also bei vielen Parametern signifikante Unterschiede zum typischen Trockenen Auge festgestellt. D’Souzas These lautet, dass Hyperkapnie ein potenzieller Faktor für diese Beschwerden an der Augenoberfläche sei.
Das Paper Impact of Taping The Upper Mask Edge On Ocular Surface Stability and Dry Eye Symptoms von Sridevi Nair (New Delhi) empfiehlt das Abkleben des oberen Maskenrands, was bei 68 % der Probanden u.a. zu einer besseren Stabilität des Tränenfilms und der Tränenfilmaufreißzeit nach einer achtstündigen Schicht mit Masken geführt habe.
Parainflammation und Hydrocortison 0,001 %
Ein neues Konzept, dass gerade in Bezug auf das Trockenen Auge diskutiert wird, ist die Parainflammation. Dieser Begriff bezeichnet das Anstoßen von Entzündungsmechanismen, was als Ausdruck einer Aktivierung von Zellen oder Geweben betrachtet werden kann. Die Parainflammation ist als adäquate Anpassungsreaktion des Organismus an Stressoren bzw. jegliche Art von Belastung zu verstehen. Es handelt sich um ein notwendiges Element zur Aufrechterhaltung von molekularer Homöostase und zellulärer bzw. geweblicher Integrität. Erst die Überforderung dieser primär sinnvollen physiologischen Mechanismen führt zu pathologischen Zuständen.
Beim Trockenen Auge, so Maurizio Rolando (Genua) in The Subtle Role of Para-inflammation in Modulating the Progression of Dry Eye Disease, bewirken die persistierende Stimulation von Kältesensoren und Nozizeptoren sowie die ständige Tränenfilm-Hyperosmolarität einen massiven Stress an der Augenoberfläche. Das Auge reagiert mit dem Versuch, die Homöostase des Tränenfilms wiederherzustellen – durch die erhöhte Produktion von Tränenflüssigkeit, eine Erhöhung der Blinzelrate, verstärkte Muzin-Sekretion und einem erhöhten Epithelzell-Turnover. Diese Antwort bezeichnet Rolando als Parainflammation. Es handelt sich um eine milde, subklinische Entzündung. Dabei werden an der Augenoberfläche molekulare Mechanismen und Signalwege aktiviert, wodurch zytoprotektive Proteine produziert werden.
Faktoren wie Alter, persistierende Umwelteinflüsse, Co-Morbiditäten und eine reduzierte Autophagie – ein Prozess in den Zellen, bei dem zelleigene zytosolische Kompartimente abgebaut und verwertet werden – können dazu führen, dass sich aus einer Parainflammation eine Inflammation entwickelt. Am Endes steht dann ein chronisches Trockenes Auge, das mit einer Zunahme von pro-inflammatorischen Zytokinen und Chemokinen, der Infiltration autoreaktiver T-Zellen, dem Versagen der Autophagie zum Abtransport des biologischen Abfalls und der dysfunktionalen Proteinen aus der Zelle und der Aktivierung von Inflammasomen einhergeht.
Seit langem ist bekannt, dass der natürliche Tränenfilm eine sehr niedrige Konzentration von Cortisol enthält, das die Aufrechterhaltung der empfindlichen Homöostase des Tränenfilms befördert. Es scheint in der Lage zu sein, den Prozess der Parainflammation in eine günstige Richtung zu bewegen, sodass es nicht zu einer chronischen Entzündung kommt. Darauf setzen Tränenersatzmittel, die einen 0,001%igen Anteil an Hydrocortison enthalten und den natürlichen Tränenfilm mit diesem niedrigen Cortisolanteil imitieren. Erste Ergebnisse einer noch nicht publizierten Studie von Prof. Stefano Barabino, Head of the Ocular Surface Center at the Sacco Hospital, Mailand, zeigen, dass diese niedrige Dosis in Kombination mit Hyaluronsäure zu einer Verbesserung der Augenoberfläche führt.
Ciclosporin A bei Trockenem Auge und bei Meibomdrüsen-Dysfunktion
In Ihrem Update stellte Prof. Messmer auch Real World Data zur topischen Anwendung von Ciclosporin A zur Therapie des Trockenen Auges vor. Sie wurden im Rahmen der PERSPECTIVE-Studie erhoben. Diese prospektive, multizentrische Beobachtungsstudie wurde in 44 Augenkliniken in Finnland, Deutschland, Norwegen, Schweden und dem Vereinigten Königreich durchgeführt. Erwachsene, die wegen schwerer Keratitis und Trockenem Auge mit Tränenersatzmitteln behandelt wurden, erhielten eine Ciclosporin A-Therapie – je 1 Tropfen in beide Augen vor dem Schlafengehen – und wurden nach vier, zwölf und 24 Wochen und erneut nach zwölf Monaten nachbeobachtet. (Gerd Geerling et al., Real-World Effectiveness, Tolerability and Safety of Cyclosporine A 0.1% Cationic Emulsion in Severe Keratitis and Dry Eye Treatment)
Die Studie umfasste 472 Erwachsene, 75,9 % waren Frauen. Das Durchschnittsalter betrug 62 Jahre. Wie in den Zulassungsstudien war die mittlere Hornhaut-Anfärbung zur Baseline signifikant verbessert. Und sogar noch nach einem Jahr war eine weitere leichte Verbesserung der Augenoberfläche festzustellen, was für eine längerfristige Gabe des Wirkstoffs spreche, so Prof. Messmer. Bereits nach vier Wochen hatten sich Lid- und Bindehautrötung sowie die Tränenfilmaufreißzeit signifikant verbessert. Auch bei Symptomen wie Fremdkörpergefühl oder Brennen trat eine Besserung ein. Die Verbesserungen hielten über zwölf Monate an. Die Verträglichkeit der Behandlung war gut und entsprach den Ergebnissen früherer klinischer Studien. Als Nebenwirkungen traten Irritationen und Schmerzen im Auge auf.
Vorgestellt wurde außerdem eine japanische Studie zu Ciclosporin A, in der Patienten mit obstruktiver Meibomdrüsen-Dysfunktion eingeschlossen waren. Zusätzlich zur Lidkantenpflege mit warmen Kompressen wurde Ciclosporin A 0,05% zweimal täglich gegeben. Drei Monate nach Therapiebeginn wurden eine signifikante Verbesserung der Tränenfilmaufreißzeit, weniger Lid-Debris, ein Rückgang der Augenlidrötung und der Meibomdrüsensekretion am Unterlid beobachtet. Allerdings trat keine Verbesserung der Meibomdrüsenanatomie ein. Die Anwendung von Ciclosporin A ist in diesem Fall off-label.
Therapie des Trockenen Auges mit Vareniclin Nasenspray
Vareniclin wurde bislang überwiegend zur Raucherentwöhnung eingesetzt. Doch 2021 ließ die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) den Wirkstoff auch für die Anwendung beim Trockenen Auge zu. Die verschreibungspflichtige Therapieoption wird zweimal täglich nasal angewendet. Dabei wird pro Sprühstoß eine Dosis von 0,03 mg Vareniclin abgegeben. Der Wirkmechanismus ist noch nicht geklärt. Es wird angenommen, dass der Wirkstoff als partieller Agonist am nikotinischen Acetylcholinrezeptor trigeminale Nervenenden in der Nasenhöhle aktiviert, wodurch die Bildung des Tränenfilms angeregt wird. Zu den häufigsten Nebenwirkungen des Sprays zählen Niesen, Husten und eine gereizte Nasenschleimhaut. Schwere Nebenwirkungen wurden bislang nicht beobachtet. Prof. Messmer erwartet zwar keine Langzeit-Remission des Trockenen Auges, hält den Wirkstoff aber für effektiv. Die amerikanischen Zulassungsstudien zeigen einen signifikanten Anstieg des Schirmertests mit Verbesserungen von über 10 mm.
Isotretinoin und Dupilumab: Gravierende Nebenwirkungen an der Augenoberfläche
Dass bei einer systemischen Aknetherapie mit Isotretinoin häufig okuläre Nebenwirkungen auftreten, ist seit längerem bekannt. Die Patienten müssen vor allem mit einer Konjunktivitis rechnen. Die aktuelle prospektive Studie The effects of the systemic isotretinoin treatment on ocular surface and meibomian glands: a prospective longitudinal study von Nazan Acar Eser (Ankara) zeigt, dass eine systemische Isotretinoin-Behandlung nicht nur die Parameter der Augenoberfläche, sondern auch die Struktur der Hornhaut und der Meibomdrüsen beeinflusst. In Anbetracht der frühen Veränderungen im Verlauf der Behandlung sind ophthalmologische Untersuchungen vor, während und nach der Therapie notwendig. Und auch ein Review von 21 Publikationen zeigt, das Isotretinoin signifikant mit u. a. reduziertem Schirmer Test, reduzierter Hornhautdicke sowie einer Zunahme von Meibomdrüsen-Dysfunktionen assoziiert ist.
Dupilumab ist ein monoklonaler Antikörper zur Behandlung der atopischen Dermatitis (Neurodermitis), zur Add-on-Erhaltungstherapie bei schwerem Asthma sowie von chronischer Rhinosinusitis mit nasaler Polyposis. Die Anwendung erfolgt durch subkutane Injektion. Dieses erste Biologicum zur Behandlung von atopischen Erkrankungen wurde von der FDA und EMA zugelassen. Es ist allerdings mit teils gravierenden Nebenwirkungen an der Augenoberfläche assoziiert: Trockenes Auge, Konjunktivitis, Blepharitis, Uveitis. Auch hier sollte eine regelmäßige augenärztliche Kontrolle erfolgen.
Quelle: Update Trockenes Auge / Prof. Dr. E. M. Messmer, München / DOG 2022, Berlin