Die Welt mit Baby-Augen sehen
Neue Studie zeigt, wie Babys visuelle Wahrnehmungseindrücke ordnen.
Während Erwachsene visuelle Eindrücke blitzschnell sortieren, müssen Babys dies erst lernen. Diese Fähigkeit ist wichtig, um sich im Alltag zurechtzufinden. Bisher war unklar, ob die visuelle Wahrnehmung im Gehirn von Babys vor dem Spracherwerb fundamental anders ist als bei Erwachsenen. Forscher*innen der FU Berlin und die Entwicklungspsychologin Stefanie Höhl von der Universität Wien haben die Gehirnaktivitäten von Babys und Erwachsenen beim Betrachten von Bildern verglichen, um herauszufinden, wie Babys die Welt wahrnehmen. Die Studie erscheint aktuell im Fachjournal "Current Biology".
Unser visuelles System ermöglicht es uns täglich durch unseren Alltag zu navigieren und blitzschnell beispielsweise einen Tisch von einem Stuhl zu unterscheiden. Frühere Studien mit Blickbewegungsmaßen zeigten bereits, dass Babys im ersten Lebensjahr immer besser darin werden, Objekte in Kategorien einzuordnen. Eine neue Studie gibt nun Aufschluss über die dabei ablaufenden Prozesse im Gehirn. Die Gehirnaktivität von Babys im Alter zwischen 6 und 8 Monaten wurde mittels Elektroenzephalographie aufgezeichnet, während sie sich über hundert Bilder von Menschen, Spielzeugen und Häusern anschauten. Zum Vergleich sah eine Gruppe von Erwachsenen dieselben Bilder. Moderne Analyseverfahren kamen zum Einsatz, um den Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Wahrnehmung bei Babys und Erwachsenen auf die Spur zu kommen.
"Wir konnten beobachten, dass Babys die verschiedenen Bilder bereits in Kategorien wie ‚Gesichter‘ und ‚Spielzeuge‘ einordnen konnten, aber sie waren dabei deutlich weniger präzise und sehr viel langsamer als die Erwachsenen", erklärt Höhl. Die langsamere Informationsweiterleitung im kindlichen Gehirn könnte mit den noch nicht ausgereiften Verbindungen zwischen Gehirnarealen zusammenhängen. Die sogenannte Myelinschicht, die im erwachsenen Gehirn für eine beschleunigte Weiterleitung sorgt, bildet sich nach der Geburt erst noch aus. Dazu passt, dass die an der visuellen Verarbeitung beteiligten Gehirnrhythmen bei den Babys deutlich langsamere Frequenzen hatten als bei den Erwachsenen. Der Vergleich mit Computermodellen zeigte zudem, dass die Wahrnehmungsprozesse bei Babys vorwiegend von grundlegenden Eigenschaften der Bilder geprägt waren, z.B. Helligkeit und Kanten. Dagegen spielten bei Erwachsenen komplexere Aspekte, z.B. Formen, eine größere Rolle. Gleichzeitig gab es spannende Zusammenhänge zwischen den visuellen Wahrnehmungsprozessen der kleinen und großen Versuchsteilnehmer*innen. Diese belegen, dass Babys verschiedene Arten von Objekten schon ganz ähnlich wie Erwachsene wahrnehmen.
Die Studie zeigt das enorme Potential moderner Analyseverfahren in den kognitiven Neurowissenschaften auf und legt den Grundstein für weitere entwicklungspsychologische Forschung. "Wir haben nun viel über die Wahrnehmung bei Babys im Vergleich zu Erwachsenen gelernt, aber dazwischen passiert natürlich unheimlich viel", so Höhl. Derzeit führt die Arbeitsgruppe daher weiterführende Untersuchungen mit Kindern im Kindergarten- und Schulalter durch.
Originalpublikation in Current Biology:
Visual category representations in the infant brain. Siying Xie, Stefanie Hoehl, Merle Moeskops, Ezgi Kayhan, Christian Kliesch, Bert Turtleton, Moritz Köster, Radoslaw M. Cichy. In: Current Biology
Quelle: Universität Wien