„Das Ergebnis des Linsentauschs vorab erleben“
Auf der DOC wurde von 1stQ Deutschland ein neuartiges ophthalmologisches Gerät zur Vorhersagbarkeit des OP-Ergebnisses bei refraktivem Linsentausch vorgestellt. Was es mit RALV (Real Artificial Lens Vision) auf sich hat, lesen Sie im Hintergrundinterview mit Dr. Olivier La Schiazza, geschäftsführender Gesellschafter und Gründer DEZIMAL GmbH, und Rüdiger Dworschak, geschäftsführender Gesellschafter 1stQ Deutschland GmbH, Berater und Mentor bei der RALV-Entwicklung und DEZIMAL GmbH.
Sie haben RALV auf der DOC vorgestellt. Wie war die Resonanz?
Dr. Olivier La Schiazza: Im wahrsten Sinne des Wortes überwältigend. Wir hatten Preview-Slots für alle Kongresstage vergeben, in denen sich das Fachpublikum mit dem Gerät vertraut machen konnte. Wir waren komplett ausgebucht. Das Feedback der Testseher war ebenfalls überaus positiv, nicht nur bei den Augenärzten, sondern auch bei der Industrie.
Rüdiger Dworschak: Im Vorfeld der DOC hatten wir bereits Ärzte in unsere Firmenzentrale in Mannheim eingeladen, um ihnen das Gerät vorzustellen. Wir waren überrascht, dass es überhaupt kein Problem war, Ärzte zu bewegen, einen Anfahrtsweg von bis zu 700 Kilometern auf sich zu nehmen, um RALV zu erleben. Die Ärzte sehen das genau wie wir: Es gibt diesen Bedarf, das Ergebnis des Linsentauschs für den Patienten sichtbar zu machen. Denn das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Patienten mit dem Ergebnis der Operation zufrieden sind.
RALV steht für Real Artificial Lens Vision. Was macht das Gerät genau?
Dr. Olivier La Schiazza: Es handelt sich um ein komplett neuartiges optisches Gerät, welches ermöglicht, präoperativ das erreichbare Sehen nach der Implantation einer IOL erlebbar zu machen. Der Patient kann verschiedene Modelle und Optiken (monofokal, EDOF, multifokal) direkt miteinander vergleichen und so die für ihn subjektiv beste IOL-Lösung finden. Das Kernstück des Geräts ist ein komplexes, refraktionierbares Linsensystem, das die Eigenschaften der IOL in das Auge projiziert, sodass der Patient den Eindruck hat, die jeweilige IOL wäre bereits in seinem Auge implantiert. Das entscheidende an RALV ist, dass man durch genau das IOL-Modell blickt, das später implantiert wird.
Rüdiger Dworschak: Ganz wichtig: Wir reden nicht von VR, AR oder einem Screen, auf den etwas projiziert wird. Sondern der Patient schaut durch die echte IOL auf Testscreens oder Objekte im Raum. Nichts wird simuliert. Er kann einen Beipackzettel durch die Linse lesen oder ein Verkehrsschild in der Ferne. Es sind echte Gegenstände, es ist die echte Kunstlinse, es ist der reale Blick durch die Linse.
Können mit RALV alle IOL getestet werden?
Dr. Olivier La Schiazza: Ein wichtiger Punkt bei unserem Gerät ist, dass es für alle handelsüblichen IOL offen ist. Alle Linsen, die implantierbar sind, können mit RALV getestet werden.
Es gibt bereits Sehsimulatoren auf dem Markt. Was ist das revolutionär Neue an RALV?
Dr. Olivier La Schiazza: Die üblichen Sehsimulatoren auf dem Markt liefern computergenerierte Bilder, Abstraktionen der realen Bilder. Die subjektive Wahrnehmung, die für den individuellen Seheindruck entscheidend ist, wird dabei außer Acht gelassen. RALV hingegen ist kein IOL-Simulator. RALV bietet den Blick durch eine echte IOL in der optisch korrekten Abbildung. Wir visualisieren das tatsächliche Sehen nach dem Linsentausch.
Rüdiger Dworschak: Man kann das subjektive Sehen mit einer IOL erleben. Das, was ich subjektiv erlebe, egal ob es um Sehen, Hören oder Schmecken geht, das kann man objektiv nicht nachempfinden. Das erlebe nur ich. Man weiß zwar grob, wie das Sehen sein wird, aber die Details, die stören oder als angenehm empfunden werden, können diese Simulatoren nicht veranschaulichen. Doch genau diese Details sind für meinen persönlichen Seheindruck essenziell. Das Sehen ist eben nicht nur die Linse, sondern dazu gehören ebenso die Netzhaut und die Hornhaut, die eventuell trocken ist und einen Tränenfilmriss hat. Genauso, die Signalverarbeitung im Gehirn. Das wird bei RALV alles mitberücksichtigt.
Für welche Patienten ist RALV insbesondere geeignet und welche Vorteile bringt es?
Dr. Olivier La Schiazza: RALV zielt in erster Linie auf presbyope Patienten mit dem Wunsch nach Brillenfreiheit und dem Anspruch auf das bestmögliche und auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittenes Sehen mit einer IOL. Der Vorteil besteht in der Auswahl einer individuell optimalen IOL, die dem Patienten subjektiv den besten Seheindruck verschafft. RALV verhilft damit auch zu einer realistischen Erwartung an das Ergebnis eines Linsentauschs. Es geht darum, die Patientenzufriedenheit zu erhöhen. RALV ermöglicht dem Patienten eine selbstbestimmte Entscheidung für diejenige IOL, die seine Bedürfnisse am besten erfüllt.
Wie wird das Gerät am Patienten angewendet?
Dr. Olivier La Schiazza: Mit RALV machen wir zuerst einen qualitativen Test des subjektiven Seheindrucks, bei dem der Patient auf Objekte im Raum blickt. Und das mit verschiedenen Linsen zum individuellen Vergleich. Die sogenannte „IOL-Probefahrt“. In den quantitativen Sehtests messen wir das Sehen – Visus, Kontrast sowie Halo bzw. Glare – mit der jeweiligen IOL. Diesen Test machen wir vor der OP und danach, mit der implantierten IOL im Auge. Das dient der Qualitätssicherung für Arzt und Patient: Das, was wir mit RALV gezeigt haben, kommt auch tatsächlich nach der OP heraus.
Welche Vorteile bringt RALV dem Augenarzt?
Dr. Olivier La Schiazza: Vor allem Sicherheit und eine verbesserte Kommunikation mit dem Patienten. Bislang musste der Arzt detailliert erklären, wie sich das Sehen durch die unterschiedlichen Optikdesigns verändert, ohne es tatsächlich selbst wissen zu können. Das ist mit RALV nicht mehr nötig, da sich der Patient jetzt selbst ein Bild davon machen kann. Ziel von RALV ist eine höhere Patientenzufriedenheit, weniger Reklamationen und weniger Explantationen.
Erste Präsentation von RALV auf dem Stand von 1stQ Deutschland auf der DOC in Nürnberg |
Inwiefern haben sich die Anforderungen an Intraokularlinsen und die gesamte patient experience vor dem Linsentausch in den letzten Jahren verändert? Warum ist das Thema so zentral?
Rüdiger Dworschak: Ich habe mich vor 25 Jahren selbstständig gemacht – auch mit der Vision, die Ergebnisse eines Linsentauschs besser vorhersagen zu können. Damals waren wir vom heutigen Stand der Technik meilenweit entfernt. Das Thema Clear Lens Exchange wurde noch nicht diskutiert. Biometrie, verbesserte OP-Techniken, differenziertere Berechnungsformeln und vor allem die Fortschritte bei den IOL-Optiken selbst - all‘ diese Faktoren haben nicht nur das Outcome des Linsentauschs verbessert. Wir können heute immer präziser korrigieren, was auch dazu geführt hat, dass bei den Patienten der Wunsch entstanden ist, sich früher operieren zu lassen, nämlich mit stetig wachsender Zahl bereits zur Presbyopiekorrektur. Diese Patienten haben den Anspruch auf Brillenfreiheit, was eine refraktive Punktlandung voraussetzt. Was die Linsentechnologie betrifft, sind wir relativ weit. Die Abweichungen bewegen sich in der Regel unter 0,5 Dioptrien. Was wir bislang nicht im Griff hatten, ist die Vorhersagbarkeit. Da klaffte eine Lücke. Machen wir uns nicht vor: Der Patient bekommt eine Prothese ins Auge, die die Funktionalität der natürlichen Linse nicht zu 100 Prozent ersetzen kann. Das heißt, wir müssen Kompromisse eingehen. Die spannende Frage lautet, inwieweit ist der Patient zu Kompromissen bereit? Die Frage, wie der Patient mit dieser Prothese zurechtkommt bzw. welche für ihn persönlich die richtige ist, ließ sich bislang nur unzureichend beantworten. Doch mit RALV können wir diese Antwort liefern. Mit RALV können wir vorhersagen und messen, wie der Mensch mit einer multifokalen Linse sieht oder welche Lichtsensationen er hat. RALV macht es möglich, präoperativ das Ergebnis des Linsentauschs zu visualisieren und die Lücke, die ich eben beschrieben habe, zu schließen.
Wie entstand die Idee, RALV zu entwickeln?
Dr. Olivier La Schiazza: Unsere Leitvision war die 100%ige Vorhersagbarkeit des Ergebnisses, also „wie sehe ich nach einem refraktiven Linsentausch?“ Das Projekt entstand aus einer Kooperation der ACMIT GmbH, einem Forschungs- und Entwicklungszentrum spezialisiert auf Medizintechnik und biomedizinische Optik und der 1stQ, die über 30 Jahre Erfahrungen im IOL-Bereich hat. Wir haben 2014 eine Zusammenarbeit gestartet, aus der nach und nach RALV als Hauptprojekt hervorging.
Rüdiger Dworschak: Seit mehr als 30 Jahren wird versucht, so ein Gerät zu entwickeln. Es war ein langer, dornenreicher Weg. Wenn man eine solche Vision hat und daran arbeitet, dann passiert auch im Umfeld sehr viel. Aus dem Entwicklungsprozess resultieren neue Erkenntnisse, die wiederum in die Linsenentwicklung einfließen. Ich bin sicher, dass unsere Position als unabhängiges Unternehmen das Projekt erst ermöglicht hat. Bei einem Projekt wie diesem kann man nicht sagen, ob man es letztendlich technisch realisieren kann. Wir waren und sind keinem Shareholder Value verpflichtet. Wir treffen die Entscheidung und es geht los!
Welche Einsatzmöglichkeiten für RALV sehen Sie neben der Patientenversorgung?
Dr. Olivier La Schiazza: Gerade auch nach den Gesprächen und Erfahrungen auf der DOC bin ich überzeugt, dass wir heute noch gar nicht wirklich abschätzen können, welchen Nutzen RALV zukünftig auf den verschiedenen Ebenen der Linsenversorgung bringen kann. Das Gerät eröffnet beispielsweise auch in der Entwicklung von neuen Linsendesigns und der Durchführung von IOL-Studien komplett neue Möglichkeiten. Probanden könnten etwa durch unterschiedliche Linsen blicken und die Ergebnisse objektiv erfasst werden – nicht-invasiv, ohne Wartezeiten, mit allen Parametern. In Studien wird bislang eine Linse an X Patienten getestet. RALV dreht den Spieß um. Mit RALV kann heute ein Patient theoretisch X Linsen testen, ganz ohne Implantation. Eins ist sicher, wir stehen noch ganz am Anfang und das Potenzial ist riesengroß.
Wann kommt das Gerät auf den Markt?
Dr. Olivier La Schiazza: RALV wird nach derzeitigem Planungsstand im ersten Quartal 2024 zur Verfügung stehen. Hersteller von RALV ist die Firma DEZIMAL GmbH, ein Start-up, das aus der Kooperation der ACMIT mit 1stQ entstanden ist. DEZIMAL wird RALV unabhängig weiterentwickeln und zunächst hauptsächlich an IOL-Hersteller vertreiben. Die IOL-Firmen verkaufen das Gerät dann weiter an Ärzte und MVZs. 1stQ ist der erste Kunde, der das Gerät in seine Prozesse eingebunden hat.
Rüdiger Dworschak: 1stQ hat das Gerät auf der DOC präsentiert – natürlich mit 1stQ Linsen und unserer Workflow-Systematik für den 100% sicheren Linsentausch. Wir nennen diese Rumdum-Sorgloslösung: SystemRALV. So kann das jeder Linsenhersteller machen und das Gerät für seine Intraokularlinsen konfigurieren.