Urteil: Femtolaserbehandlung nach GOÄ 5855 analog bei Katarakt im Einzelfall abrechenbar
In welchen Fällen darf der Augenarzt für die Femtosekundenlaserbehandlung bei Katarakt die Ziffer 5855 GOÄ analog abrechnen? Dazu ergingen viele, sich teils widersprechende Gerichtsurteile. Denn laut BGH kann durchaus eine medizinische Indikation für den Lasereinsatz vorliegen – wie etwa in diesem Fall, den das Amtsgericht Bochum verhandelt hat.
Der Fall:
Streitig war, ob die Femtolaserbehandlung der Augen eines privat krankenversicherten asiatischstämmigen Mannes, der an Katarakt litt, von dem Augenarzt nach GOÄ 5855 analog abgerechnet werden darf. Bei dem Mann bestanden u.a. eine subluxatio lentis und eine enge Lidspalte. Nach der Operation liquidierte der Arzt den Einsatz des Femtosekundenlasers im Rahmen der Katarakt-Operation in Höhe von 1.005,46 €.
Die Entscheidung:
Das Amtsgericht Bochum zog, wie in diesen Fällen üblich, einen medizinischen Sachverständigen zu Rate, um zu entscheiden, ob der Gebührenansatz medizinisch gerechtfertigt war.
Die Sachverständige führte aus,
- dass bei dem Patienten asiatischer Abstammung bereits insofern eine besondere, erschwerte Ausgangssituation für die Operation vorgelegen habe, da das asiatische Auge eine verengte und verkürzte Lidspalte aufweise, wodurch der Zugang zum Auge bei der Operation kleiner, enger und somit erschwert sei.
- dass sich aus dem schlechten Visus rückschließen lasse, dass es sich um eine komplizierte Katarakt gehandelt habe.
- es habe ein veränderter Befund des vorderen Augenabschnitts vorgelegen, insoweit habe eine Verklebung im Bereich der Regenbogenhaut bestanden, die den operativen Ausgangsbefund ebenfalls abweichend von der Norm dargestellt habe.
- es habe eine Subluxatio lentis bestanden.
All dies stelle eine – im Vergleich zur Standard-Katarakt-OP – besondere Ausgangssituation und erschwerte Operation dar:
- es müsse äußerst vorsichtig operiert werden müssen, um das Auge durch die Operation nicht zu schädigen.
- dies stelle den Operateur vor erhöhte Anforderungen: Spätestens bei einer händischen Eröffnung der vorderen Linsenkapsel, um an die getrübte Linse heranzukommen, hätte der Operateur gemerkt, dass die Linse wackele, locker sei und gegebenenfalls nach hinten in den Glaskörper kippe, und er hätte sie dann mittels intrakapsulärer Technik (ICCE Technik) entfernen müssen.
Mit dem Femtosekundenlaser könne hingegen die Operation ganz anders angegangen werden und viel atraumatischer operiert werden als bei der manuellen Technik der Kapseleröffnung.
Das Ergebnis aus Sicht der Sachverständigen: Die Femtosekundenlaserbehandlung war hier medizinisch geboten.
- Insbesondere im Hinblick auf die engeren Platzverhältnisse im Auge des asiatischen Patienten als auch auf die bei diesem vorbestehende subluxatio lentis habe der Einsatz des Femtosekundenlasers eine deutliche Risikominimierung im Vergleich zur Standardmethode und somit einen deutlich sichereren OP-Erfolg bedeutet.
- Die individuelle medizinische Indikation für den Einsatz des Femto-sekundenlasers bei dem Patienten könne bereits allein mit dem Bestehen der subluxatio lentis begründet werden. Da allerdings auch noch die enge Lidspalte hinzukomme, sei hier in jedem Fall mit dem Femtosekundenlaser vorzugehen gewesen. Bei tiefliegenden Augen solle, so diverse wissenschaftliche Publikationen, die Standard-Operationsmethode der Phakoemulsifikation überhaupt nicht angewendet werden.
Dies überzeugte das Amtsgericht Bochum und das Gericht bejahte die medizinische Indikation und damit die Abrechenbarkeit der Femtosekundenlaserbehandlung.
Hintergrund:
Die Femtosekundenlaser-assistierte Katarakt-Operation stellt grundsätzlich keine eigenständige neue Operationsmethode, sondern lediglich eine besondere Ausführungsart der in Nummer 1375 GOÄ beschriebenen extrakapsulären Katarakt-Operation mittels Linsenkernverflüssigung dar (Bundesgerichtshof, Urteile vom 14.10.2021 - III ZR 350/20 und III ZR 353/20). Laut BGH ergibt sich auch keine eigenständige medizinische Indikation für den Einsatz eines Femtosekundenlasers bei einer Katarakt-Operation daraus, dass die Lasertechnologie eine präzisere Schnittführung ermöglicht und durch die Reduzierung der benötigten Ultraschallenergie gegenüber der Standard-Katarakt-Operation für die Gewebestrukturen, die sich im Nahbereich der getrübten Linse befinden, schonender sein soll, insbesondere auf Grund einer geringeren Belastung des Honhautendothels.
Laut BGH ist aber denkbar, dass im Einzelfall eine medizinische Indikation besteht. Bejaht wurde diese einzelfallbezogene medizinische Indikation zum Beispiel im Fall einer präoperativ bestehenden verminderten Endothelzellzahl an beiden Augen (Landgericht Würzburg, Beschluss vom vom 22.12.2022, AZ.: 53 S 1296/22).
Praxisanmerkung:
Um die analoge Verwendung der Ziiffer 5855 GOÄ ausnahmsweise zu rechtfertigen, bedarf es also einer besonderen medizinischen Indikation im Einzelfall, wie zum Beispiel eine subluxatio lentis. Die jeweilige medizinische Indikation ist von dem behandelnden Arzt hinreichend zu dokumentieren.
Denkbare medizinische Indikationen im Einzelfall für den Femto-Lasereinsatz sind zum Beispiel:
- verminderte Endothelzellenzahl
- engere Platzverhältnisse am Auge z.B. bei asiatischen Patienten
- subluxatio lentis
- enge Lidspalte
- tiefliegende Augen
Um Streitigkeiten mit dem Patienten oder dessen privater Krankenversicherung schon im Ansatz zu vermeiden, sollte der Arzt die besondere medizinische Indikation bereits in der Rechnung erwähnen und anmerken, dass zum Beispiel ein erschwerter Zugang zum Auge wegen enger Lidspalte bestand und dass die Linse verschoben war, weshalb die Femtolaserbehandlung gewählt wurde. Die hier zitierten Ausführungen der medizinischen Sachverständigen geben insofern eine Vorstellung davon, welche Ausführungen hilfreich sind.
(Amtsgericht Bochum, Urteil vom 27. Oktober 2022 – 47 C 31/20)
Von Rechtsanwalt Philip Christmann, Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin