Die neue Führungsakademie der DOG, Fachkräftemangel und augenärztliche Generationen im Dialog – DOG-Präsident Prof. Nikolaos Bechrakis im Interview
Der DOG-Kongress bietet auch 2023 wieder die ideale Möglichkeit, sich umfassend über neue Erkenntnisse und Innovationen auf dem Gebiet der Augenheilkunde zu informieren. Doch im Berliner Estrel geht es auch um berufspolitische Themen. Ein Interview mit DOG-Präsident Prof. Nikolaos Bechrakis über Führung in der Augenheilkunde, die diesjährigen Keynote Lectures und spannende Entwicklungen im Bereich der Ophthalmo-Onkologie.
Herr Prof. Bechrakis, ein wesentlicher Schwerpunkt des DOG-Kongresses wird dieses Jahr die „Führung in der Augenheilkunde durch Menschlichkeit und Kompetenz“ sein. Worum geht es hier genau?
Prof. Nikolaos Bechrakis: Dabei geht es um eine flexible Art von Führung, die wir in der Medizin brauchen. Hierarchien sind dort an sich nichts Neues, beispielsweise in Kliniken mit sehr klar definierten Führungspositionen. Führung muss aber nicht immer so starr und steil sein, sie kann sich auch an die jeweiligen Gegebenheiten flexibel anpassen. So können auch jüngere Kolleginnen und Kollegen etwa die Führung übernehmen, wenn sie in manchen Bereichen über mehr Kompetenz verfügen als erfahrenere Mitarbeitende, und umgekehrt. Was dabei immer im Fokus stehen sollte, ist die transparente professionelle Kommunikation und die Menschlichkeit, die der Behandlung unserer Patientinnen und Patienten zugutekommt. Das ist besonders wichtig angesichts von politischen oder ökologischen Herausforderungen sowie auch dem ökonomischen Druck. Natürlich spielt Ökonomie eine Rolle, aber der Mensch sollte in der Medizin immer an erster Stelle stehen.
Erstmalig wird dieses Jahr im Rahmen des Kongresses eine Führungsakademie der DOG initiiert. Was ist die Aufgabe dieser Akademie?
Die Akademie haben wir zu genau zu diesem Zweck initiiert. Sie wird uns meines Erachtens sehr helfen, mehr kompetente und menschliche Führung zu entwickeln. Besonders im Gesundheitswesen muss man im Laufe seiner Karriere irgendwann eine Führungsrolle einnehmen, hier erfolgt aber meist keine spezielle Ausbildung. Dabei improvisiert jeder und handelt nach seinen eigenen Vorstellungen und seiner eigenen Definition von Führung, die sicher Stärken als auch Schwächen beinhaltet. Wir wollen hier eine professionelle Unterstützung an die Hand geben. Potenzielle Führungspersönlichkeiten innerhalb der deutschen Augenheilkunde besuchen in der Akademie über ein Jahr mehrere Module und schulen ihre Führungskompetenzen durch die Erarbeitung eigener Projekte.
Das European Board of Ophthalmology (EBO) organisiert zur DOG 2023 erstmals einen speziellen FEBO-Vorbereitungskurs. Was bietet dieser Kurs?
Dabei werden Workshops in den verschiedenen ophthalmologischen Subspezialitäten angeboten, um auch Bereiche, die vielleicht nicht in allen Ausbildungsstellen in ganzer Tiefe angeboten werden zu repräsentieren. Diese Bereiche sind zum Beispiel seltene augenärztliche Erkrankungen, die Kinder- und Neuroophthalmologie, als auch die ophthalmologische Onkologie.
Welche weiteren Angebote hat der Kongress für den Nachwuchs?
Da ist im Besonderen das Symposium „Augenärztliche Generationen im Dialog“ zu nennen. Dabei werden erfahrene Ophthalmologen mit jüngeren über die Themen Hornhaut, Glaukom und Physiologie diskutieren und wir werden hoffentlich sehen, wie die Generationen voneinander lernen und profitieren können.
Fachkräftemangel herrscht auch in der Ophthalmologie. Wie engagiert sich die DOG, um junge Mediziner für die Augenheilkunde zu begeistern?
Ich glaube, unsere Aufgabe ist es, Augenheilkunde weiter auf höchstmöglichem Niveau zu betreiben und somit auch Interesse für das Fach zu wecken. Da geht es auch darum, an den Universitäten möglichst spannende und lehrreiche Vorlesungen und Praktika abzuhalten. Wir generieren unseren Nachwuchs bereits während des Medizinstudiums und müssen uns somit umso mehr auch um die Begeisterung der Studenten für unser Fach kümmern.
Sie sind Vorsitzender und Organisator des Symposiums "Augenärztliche Generationen im Dialog". Worum geht es in dieser Veranstaltung?
Wie schon beschrieben, geht es dabei um und den Austausch von Erfahrungen und Kompetenzen zwischen den Generationen. Ich denke, man sollte den Wissensschatz der erfahreneren Augenärztinnen und -ärzte auf keinen Fall vernachlässigen und dringend in der Medizin erhalten. Aber auch der ophthalmologische Nachwuchs kann einiges zum Wohl der Patientinnen und Patienten beisteuern und ganz andere Kompetenzen und Perspektiven einbringen.
Ein weiteres Symposium unter Ihrem Vorsitz, „Did they see?“, findet in Kooperation mit der Israelischen Ophthalmologischen Gesellschaft statt. Was wird hier thematisiert?
Bei diesem gemeinsamen Vortrag wird die Thematik der Ophthalmologie während des Nationalsozialismus behandelt. Dies ist sicherlich ein sehr sensibles Thema, aber dies bedeutet nicht, dass wir uns der Herausforderung der Diskussion entziehen sollten.
Welche Keynote Lectures stehen auf dem Programm?
Es stehen zwei Keynote Lectures an: Einmal von Tero Kivelä aus Helsinki in Finnland und David Yorston aus Glasgow in Schottland. Tero Kivelä ist einer der kompetentesten Ophthalmo-Onkologen und wird über Chancen für die Überlebensmöglichkeit von Patientinnen und Patienten mit Aderhautmelanom sprechen. David Yorstons Vortrag „Improving vision in retinal detachment management“ behandelt die Möglichkeit das Sehvermögen von Patientinnen und Patienten mit Netzhautablösung zu optimieren. Dabei geht es vor allem um die Frage, wann und wie man heutzutage am besten eine Netzhautablösung operieren sollte.
Sie sind auch Leiter der DOG-Sektion Ophthalmologische Onkologie. Was wird es neben der Keynote Lecture von Tero Kivelä noch für Veranstaltungen zu diesem Thema geben?
Ja, es werden beispielsweise aktuelle Behandlungsstrategien zu onkologischen Entitäten besprochen, sowie Innovationen hinsichtlich der Diagnostik und Früherkennung.
Sie forschen zur Liquid Biopsy, einer neuen Analyse-Methode zum Nachweis von Tumorzellen im Blut. Wie ist hier der aktuelle Stand der Dinge?
Wir sehen in der Flüssigbiopsie ein sehr großes Potenzial, da sie wenig invasiv ist und uns helfen kann, den Schweregrad und die Prognose für die Betroffenen einzuschätzen. Es wäre für viele Erkrankte eine wirklich große Erleichterung im Alltag, nicht mehr in eine Uniklinik fahren zu müssen, sondern die Blutentnahme einfach am Wohnort durchführen zu lassen. Das wird sicher auch in anderen Fachbereichen der Onkologie zunehmen und vermutlich auch einen Einfluss auf die Behandlungsstrategien haben.
Gibt es Fortschritte, was die Therapie von intraokularen Tumoren betrifft?
Ja, da gibt es unglaubliche Fortschritte, etwa bei der Behandlung des Aderhautmelanoms. Lange hatte man hier keine Methode erster Wahl, um die Überlebensrate der Patientinnen und Patienten zu verbessern und Metastasierung zu verhindern. Mit einer Immuntherapie, die vor etwa einem Jahr zugelassen wurde, ist es aber erstmals möglich das Überleben der Betroffenen mit Metastasen um sechs Monate zu verlängern. Eine positive Begleiterscheinung dieses Fortschritts ist die Erhöhung finanzieller Mittel für Forschung in diesem Bereich. Das gilt sowohl in der Industrie als auch der Wissenschaft. Zuvor gab es nur wenig Finanzierung, um Innovationen zu fördern, vor allem da dies eine eher seltene Erkrankung ist. Auch wir sind dabei, neue Projekte zu entwickeln, um den Betroffenen medikamentös zu helfen.
Auch beim Retinoblastom gab es Fortschritte. In den Industrie-Ländern haben wir schon eine sehr gute Versorgung zu diesem Tumor, aber nicht in Ländern mit geringerem Einkommen. Aus diesem Grund haben wir Kooperationen mit mehreren Ländern, um die aktuellen Therapieempfehlungen und Standards anzugleichen.
Ökologische Nachhaltigkeit ist eines der großen gesellschaftlichen Themen. Was kann die DOG tun, um den ökologischen Fußabdruck der Augenheilkunde zu reduzieren?
Wir können zum Beispiel weiterhin hybride oder rein virtuelle Formate nutzen, um Ressourcen zu sparen. Das haben wir in den vergangenen drei Jahren sehr gut gelernt. Natürlich ist die persönliche Begegnung weiterhin wichtig und nicht ersetzbar. Ich freue mich auch, dass wir in diesem Jahr wieder einen Präsenz-Kongress haben. Aber da wo es sinnvoll ist, kann man durch Online-Begegnungen, Fortbildungen und Veranstaltungen nachhaltiger arbeiten.
Ökologische Nachhaltigkeit war zudem Schwerpunkt beim Kongress 2022. Alles, was dort etabliert wurde, wird auch in diesem Jahr weitergeführt. Das ist zum Beispiel die Weiterführung des EyeCycles oder die Nutzung von recyceltem Papier beim Jahresbericht.
Herzlichen Dank für das Interview!
Interview: Achim Drucks
DOG 2023
28. Sept. – 1. Okt. 2022
Estrel, Berlin
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