Glaukom, Katarakt und Schlaganfall: Ab wann verbieten Sehprobleme das Steuern eines PKW?
Mit dem Thema „Sehvermögen und aktive Teilnahme am Straßenverkehr“ befassen sich diverse Veranstaltungen auf der diesjährigen DOG. Ein Statement von Prof. Frank Tost, Stellvertretender Direktor der Universitätsaugenklinik Greifswald.
Sowohl der Erhalt des Sehvermögens als auch eine uneingeschränkte Mobilität bis in das hohe Lebensalter sind für jeden Einzelnen entscheidende Faktoren für eine hohe Lebensqualität. Die Sinnesempfindung „Sehen“ umfasst verschiedene Leistungsfunktionen des Sehorgans. Gerade im Straßenverkehr, bei dem circa 90 Prozent der Sinneseindrücke über die Augen wahrgenommen werden, sind die verschiedenen Augenfunktionen äußerst wichtig.
Am bekanntesten sind die zentrale Tagessehschärfe und der Gesichtsfeldsinn, welcher für das periphere Sehen und die Wahrnehmung anderer Verkehrsteilnehmer wichtig ist. Die wechselnden Alltagsbedingungen während des Autofahrens tagsüber, bei Dämmerung und in der Nacht stellen vielfältige Anforderungen an unsere Augen.
Ein Beispiel zur Wichtigkeit des Kontrastsehens mit dem Schriftzug „Straßenverkehr“ zeigt, wie komplex die Signalverarbeitung in der Netzhaut im bildaufnehmenden Teil des Augeninneren abläuft. Die Kontrastwahrnehmung und Erkennbarkeit des homogenen, gleichmäßig gefärbten Schriftzugs erscheinen auf dem dunkleren Hintergrund heller und auf dem helleren Hintergrund dunkler.
Kontrastsehen. Bild © UM Greifswald, Augenklinik
Die Fahrerlaubnisverordnung (FeV) benennt in der Anlage 6 zum Paragrafen 12 wichtige Mindestvoraussetzungen seitens der Augenfunktionen. Diese unterscheiden sich nach Fahrerlaubnisklassen und differenzieren zwischen Berufskraftfahrern oder Privatfahrern. Der Zustand und die Leistungsfähigkeit unserer Augen verändern sich im Laufe des Lebens. Mit zunehmendem Lebensalter steigt die Häufigkeit für chronisch schleichende Augenerkrankungen wie Katarakt oder Glaukom an. Zudem können verschiedene Allgemeinerkrankungen wie Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, aber auch ein Schlaganfall die Funktionstüchtigkeit der Augen einschränken.
Die wissenschaftliche Augenheilkunde erforscht nicht nur die Behandlung von Augenerkrankungen, sondern setzt das Fachwissen auch ein, um die verschiedenen Leistungsfunktionen des Sehorgans standardisiert zu erfassen und praxisnahe Prüfmethoden zu entwickeln. Ein Symposium der Verkehrskommission von DOG und BVA befasst sich am Samstag, dem 30.09.2023 im Rahmen des Jahreskongresses der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft in einer Vortragsreihe von 5 Beiträgen mit dem Thema „Fahreignung bei Erkrankungen von Auge und Sehbahn“.
In einem anderen Präsentationsformat berichtet eine Arbeitsgruppe um Professor Hoffmann aus der Universitäts-Augenklinik Magdeburg ebenfalls auf der diesjährigen Jahrestagung der DOG über eine neuartige Methode des Gesichtsfeldscreenings, die insbesondere Gesichtsfeldausfälle beim Glaukom schneller erfasst und Optionen für telemedizinische Anwendungen eröffnen soll. Die Verfügbarkeit von Prüfverfahren mit vertretbarem Aufwand und hoher methodischer Zuverlässigkeit ist von Bedeutung, um möglichst viele Menschen und Verkehrsteilnehmer zu erreichen.
Dr. Wolfram und eine Arbeitsgruppe aus der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf berichten über die ersten Ergebnisse einer prospektiven, populationsbasierten Kohortenstudie aus der Bevölkerung in Hamburg (Hamburg City Health Study, HCHS). Dazu wurde eine Stichprobe von 45.000 Personen im Alter zwischen 45 und 75 Jahren aus der allgemeinen Bevölkerung Hamburgs gezogen. Man fand in dieser Studie einen Zusammenhang zwischen dem Lebensalter und der Verwendung von augendrucksenkender Medikation (statistisch signifikant; p < 0,001). Die Verwendung von augendrucksenkenden Medikamenten belegt, dass bei den betroffenen Menschen ein Glaukom vorliegt. Die Häufigkeit des Glaukoms betrug in der höchsten Altersgruppe der Hamburger Studie über 9 Prozent. Hervorzuheben ist vor allem die Schlussfolgerung der Autoren, dass anhand der ausgewerteten Selbstauskünfte (Fragebögen) nahezu einem Drittel die Krankheitsproblematik Grüner Star trotz der Glaukommedikation, die sie täglich tropften, nicht bewusst war.
Gerade im Hinblick auf die Teilnahme am Straßenverkehr ist es wichtig, dass jeder Bürger seinen eigenen Gesundheitszustand kennt und seiner Selbstverantwortung nachkommt, bei chronischen Augenerkrankungen mögliche Funktionsbeeinträchtigungen durch eine augenärztliche Untersuchung ausschließen zu lassen. In diesem Zusammenhang ist der demnächst in einem der Publikationsorgane der DOG erscheinende Artikel zur „Überprüfung visueller Defizite durch die Polizei bei Verkehrsteilnehmern in Deutschland“ hervorzuheben.
In einem Pilotprojekt hat die Polizei in Niedersachsen unter Beratung durch die Augenklinik der MH Hannover bei Verkehrsteilnehmern unter anderem bei Auffälligkeiten eine orientierende Gesundheitsprüfung der Augen direkt vor Ort vorgenommen. Im Ergebnis musste bei mehreren Verkehrsteilnehmern eine ärztliche Überprüfung der Fahrtauglichkeit veranlasst werden oder sogar einzelnen Fahrzeugführern die Weiterfahrt untersagt werden. Für das sichere Führen eines PKW im Straßenverkehr und zur Vermeidung von Gesundheitsschäden bei anderen Verkehrsteilnehmern muss ein ausreichendes Sehvermögen vorhanden sein.
Mangelndes Sehvermögen kann durch andere Körperfunktionen oder unterstützende Assistenzsysteme bislang nicht kompensiert werden. Funktionsbeeinträchtigungen am Sehorgan können sich vielfältig und individuell zu unterschiedlichen Lebenszeitpunkten manifestieren. Es liegt in der Selbstverantwortung eines jeden Verkehrsteilnehmers bei Augenerkrankungen eine augenärztliche Beratung in Anspruch zu nehmen und bei konkretem Erfordernis die Überprüfung der Fahrtauglichkeit im Rahmen einer medizinischen Begutachtung zu beauftragen. Eine plötzliche starke Sehverschlechterung, zum Beispiel Erblindung eines Auges oder Störungen im Gesichtsfeld infolge eines Schlaganfalls, bedingt gemäß Fahrerlaubnisverordnung zunächst Fahruntüchtigkeit. Nach einer Gewöhnungsphase und erneuter augenärztlicher Untersuchung kann frühestens nach 3 Monaten die Fahrtauglichkeit wiedererlangt werden – vorausgesetzt das verbliebene Auge bzw. das verbliebene Gesichtsfeld erfüllen dann die Anforderungen, die spezifisch für die verschiedenen Fahrzeugklassen gefordert werden.
Professor Dr. med. Frank Tost, Stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universitätsmedizin Greifswald
Literatur:
Abstracts zur DOG 2023, Estrel Congress Center, Berlin, 28.9. bis 1.10.2023
Band 120, Suppl.·September 2023
PDo02-01 Schnelle Kampimetrie – Gesichtsfeldscreening bei Glaukom
Djouoma KN1, Al-Nosairy KO1, Müller F2, Hagen T1, Hoffmann MB1, 3
1. Ophthalmic Department, Otto-von-Guericke Universität, Magdeburg, Deutschland, 2. H & M Medical Solutions GmbH, Berlin, Deutschland, 3. Center for Behavioral Brain Sciences, Magdeburg, Deutschland
PFr03-09 Die Glaukomprävalenz in der urbanen erwachsenen Bevölkerung – Ergebnisse der Hamburg City Health Study (HCHS)
Wolfram C, Vu TPL, Klemm M, Grohmann C, Spitzer M
Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf (UKE) – Augen- und Poliklinik, Hamburg, Deutschland
Überprüfung visueller Defizite durch die Polizei bei Verkehrsteilnehmern in Deutschland
Bartram MC1; Kanngießer J2, Hufendiek K1, Schalhorn C3, Framme C1
1. Universitätsklinik für Augenheilkunde, Medizinische Hochschule Hannover, 2. Autobahnpolizei Niedersachsen, 3. Polizeiakademie Hamburg. Die Ophthalmologie, Springer