Augenforschung in Deutschland: Was ein internationales Expertenpanel rät
Wie ist die ophthalmologische Forschung in Deutschland aufgestellt? Wo liegen ihre Stärken, wo gibt es Verbesserungsbedarf und welche Herausforderungen werden in Zukunft auf das Fachgebiet zukommen? Diese Fragen hat die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) von einem national und international besetzten Expertengremium untersuchen lassen. Die Ergebnisse sind Bestätigung und Ansporn zugleich.
Anlässlich des Welttages der Wissenschaft am Freitag, dem 10. November 2023, stellt die Fachgesellschaft die Ergebnisse vor.
Intensiver und kontinuierlicher Forschung ist es zu verdanken, dass wirksame Therapien für viele Augenerkrankungen existieren, denen man früher hilflos gegenüberstand. Noch immer gibt es jedoch ophthalmologische Leiden, die nicht zufriedenstellend therapiert werden können und die zu Sehminderung oder Erblindung führen. Das ist etwa bei degenerativen Erkrankungen der Netzhaut und der Hornhaut der Fall, aber auch beim Glaukom und dem trockenen Auge. „Die meisten dieser Erkrankungen treten mit zunehmendem Alter immer häufiger auf“, sagt Professor Dr. med. Claus Cursiefen, Generalsekretär der DOG. Allein aufgrund des demographischen Wandels sei daher mit einem starken Anstieg der Erkrankungszahlen zu rechnen – und damit auch mit einer deutlichen Zunahme von Sehbehinderungen und Erblindungen. „Dieser Entwicklung können wir nur mit exzellenter Forschung begegnen“, so Cursiefen. Nur mit einer Ausweitung der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten könne die ophthalmologische Versorgung und die Lebensqualität der alternden Bevölkerung sichergestellt werden.
Um von außen beurteilen zu lassen, wie gut die deutsche Augenforschung diesen Zielen gerecht wird, hat die DOG eine Gruppe internationaler Stakeholder aus Forschung, Wissenschaftsmanagement und Industrie an einen virtuellen Tisch geholt und um eine Evaluation gebeten. Eine wichtige Bewertungsgrundlage hatte die DOG zuvor selbst erarbeitet: Ihre „Forschungslandkarte“, die alle zwei bis drei Jahre aktualisiert wird, gibt einen Überblick über die ophthalmologische Forschung an universitären und außeruniversitären Standorten und listet die jeweiligen thematischen Schwerpunkte ebenso auf wie die eingeworbenen Fördermittel, Publikationen, Promotionen, Habilitationen und Impact-Punkte.
Vorreiterrolle der Augenheilkunde bei neuen Technologien
„In der Gesamtschau bewertet das Gremium die Qualität und thematische Vielfalt der Augenforschung in Deutschland als beeindruckend – besonders im Hinblick auf die begrenzten Mittel, die zur Verfügung stehen und im internationalen Vergleich eher niedrig sind“, berichtet der DOG-Generalsekretär. Hieraus ergibt sich zugleich die erste Empfehlung der Expertinnen und Experten: verstärkte Überzeugungsarbeit bei den zuständigen politischen Stellen und Stiftungen zu betreiben, um eine Erhöhung der Fördermittel zu erwirken. „Dabei sollte insbesondere der große gesellschaftliche Nutzen der ophthalmologischen Forschung betont werden“, gibt Cursiefen das Expertenvotum wieder. Auch solle man stärker auf die Vorreiterrolle aufmerksam machen, die die Augenheilkunde bei neuen Technologien wie der KI, Genetik, Robotik und Nanotechnologie innehabe.
Weitere Empfehlung: Auch wenn die Stakeholder-Runde die Vielfalt der bearbeiteten Forschungsthemen würdigt, vermisst sie eine klare Priorisierung. Um Kräfte zu bündeln und die Forschung effizienter zu machen, schlägt das Panel daher vor, den Fokus auf maximal drei Themenbereiche zu legen und diese einrichtungsübergreifend – etwa im Rahmen von DFG-Schwerpunktprogrammen – zu bearbeiten.
Translationales Potenzial bei Weitem nicht ausgeschöpft
Bei der Übertragung von Forschungsergebnissen in die medizinische Anwendung und in vermarktbare Produkte sah das Gremium ebenfalls Nachholbedarf. Die vergleichsweise geringe Zahl an Patenten, die aus der deutschen ophthalmologischen Forschung hervorgehen, lasse darauf schließen, dass das translationale Potenzial bei Weitem nicht ausgeschöpft werde, befanden die Expertinnen und Experten. Hier könne eine engere Zusammenarbeit mit Patentanwältinnen und Patentanwälten ebenso helfen wie eine Infrastruktur, die junge Forscherinnen und Forscher beim Technologietransfer unterstützt.
Weitere Empfehlungen beziehen sich darauf, die Rahmenbedingungen für die individuelle Karriereplanung zu verbessern – von flexiblen und familienfreundlichen Arbeitsbedingungen bis hin zu einer größeren Vielfalt anerkannter Karriereziele, die nicht nur im klinischen Bereich, sondern eben auch in der Forschung liegen können. „Dabei sollte das gesamte Spektrum ophthalmologischer Forschung abgedeckt werden, einschließlich der Grundlagenforschung“, betont Cursiefen. Um begabten Forscherinnen und Forschern eine Karriere im Labor zu ermöglichen, sei auch die Einrichtung von Stiftungsprofessuren oder Exzellenzzentren hilfreich. In diese Richtung zielt auch die Gründung eines Deutschen Zentrums für Gesundheitsforschung für die Augenheilkunde, eine Forderung, die die DOG bereits seit Längerem stellt. Die Expertenrunde unterstützt diese Forderung ausdrücklich – ein deutsches Pendant zum amerikanischen „National Eye Institute“ würde dem Kampf gegen erblindende Augenerkrankungen sehr helfen.
Die DOG setzt sich seit ihrer Gründung für die ophthalmologische Forschung ein, fördert wissenschaftliche Projekte, gibt Fachzeitschriften heraus, veranstaltet Kongresse und unterstützt junge Forscherinnen und Forscher mit Stipendien. „Ziel all dessen ist immer die Verbesserung der ophthalmologischen Diagnostik und Therapie, zum Wohle der Patientinnen und Patienten“, betont Generalsekretär Cursiefen. Diese Patientenorientierung sollte die DOG in der Öffentlichkeit noch stärker herausstellen, rät das Panel, etwa indem sie noch enger mit Selbsthilfegruppen zusammenarbeite. Denn letztlich repräsentiere die Fachgesellschaft nicht nur die ophthalmologisch tätige Ärzteschaft, sondern auch die Patientinnen und Patienten und ihre Familien.
Schaub F, Mele B, Gass P, Ader M, Helbig H, Lagrèze WA, Schlötzer-Schrehardt U, Ueffing M, Cursiefen C; das DOG Forschungslandkartenteam.
Ophthalmologie. 2022 Jun;119(6):582-590