Weltweit erste Transplantation eines kompletten menschlichen Auges
Im Rahmen einer Teilgesichtstransplantation hat ein Chirurgenteam der New Yorker Universitätsklinik NYU Langone Health die weltweit erste Transplantation eines kompletten Auges durchgeführt.
Es ist zwar noch nicht klar, ob der Empfänger, ein 46-jähriger Mann aus Arkansas, zumindest einen Teil seines Sehvermögens wiedererlangen wird. Doch, so die Presseinformation der Klinik, zeige das transplantierte Auge seit dem Eingriff im Mai 2023 bemerkenswerte Anzeichen von Gesundheit, einschließlich einer direkten Blutzufuhr zur Netzhaut. Dieser bahnbrechende Erfolg eröffne neue Möglichkeiten für künftige medizinische Fortschritte.
Über den Eingriff
Die Operation am 27. Mai dauerte etwa 21 Stunden. Beteiligt war ein Team von mehr als 140 Chirurgen, Krankenschwestern und anderen medizinischen Fachkräften unter der Leitung von Eduardo D. Rodriguez, MD, DDS. Rodriguez ist Direktor des Gesichtstransplantationsprogramms, Professor für rekonstruktive plastische Chirurgie und Vorsitzender des Department of Plastic Surgery an der NYU Langone und hat vor dieser Operation bereits fünf Gesichtstransplantationen geleitet.
Aaron James's Partial-Face & Total-Eye Transplant Surgical Animation, 2023
Der Empfänger, Aaron James aus Hot Springs, Arkansas, erlitt im Juni 2021 einen schweren Arbeitsunfall. Der Hochspannungsmonteur überlebte schwerverletzt einen 7200-Volt-Stromschlag, als sein Gesicht mit einer stromführenden Leitung in Berührung kam. Neben seinem linken Arm verlor er dadurch auch einen Großteil seiner linken Gesichtshälfte.
Dr. Rodriguez und sein 7-köpfiges Operationsteam transplantierten James eine Nase, ein linkes oberes und unteres Augenlid, eine linke Augenbraue, Ober- und Unterlippe sowie die darunter liegenden Schädel-, Wangen-, Nasen- und Kinnknochensegmente und das gesamte Gewebe unterhalb des rechten Auges, einschließlich der darunter liegenden Muskeln, Blutgefäße und Nerven. Außerdem das gesamte linke Auge und die Augenhöhle, einschließlich der Augenhöhlenknochen, des gesamten umliegenden Augengewebes und des Sehnervs.
Die Ärzte der NYU Langone wurden bereits zwei Monate nach dem Unfall auf James’ Fall aufmerksam und beriet ihn während der frühen Phase der Rekonstruktion durch Spezialisten in einem medizinischen Zentrum in Texas. Im Laufe des nächsten Jahres wurde dann die Möglichkeit einer Gesichtstransplantation erörtert. Als die texanischen Chirurgen gezwungen waren, James’ linkes Auge aufgrund starker Schmerzen zu entfernen, empfahlen Dr. Rodriguez und sein Team, den Sehnerv so nah am Augapfel wie möglich zu durchtrennen, um so viel wie möglich davon zu erhalten. Damit begann die Diskussion über die Möglichkeit, auch ein Auge zu transplantieren, was bisher noch nie versucht worden war.
Reportage Aaron James Receives a Partial-Face & Whole-Eye Transplant—& a Second Chance at Life
Das multidisziplinäre Team der NYU Langone, Dr. Rodriguez und die Familie James trafen gemeinsam die Entscheidung, ein ganzes Auge in Kombination mit dem Gesicht zu transplantieren – wohl wissend, dass dies nur kosmetische Vorteile bringt. „In Anbetracht der Tatsache, dass James eine Gesichtstransplantation benötigte und deswegen immunsuppressive Medikamente einnehmen wird, war das Verhältnis zwischen Risiko und Nutzen der Augentransplantation sehr gering.“, so Dr. Rodriguez.
„Allein die Tatsache, dass wir die erste erfolgreiche Transplantation eines kompletten Auges zusammen mit der eines Gesichts durchgeführt haben, ist eine enorme Leistung, die viele lange für unmöglich gehalten haben“, fügte Dr. Rodriguez hinzu. „Wir haben einen großen Schritt nach vorn gemacht und den Weg für das nächste Kapitel in der Wiederherstellung des Sehvermögens geebnet.“
Eine Frage des Nervs
Hornhauttransplantationen sind inzwischen relativ weit verbreitet. Doch die erfolgreiche Transplantation eines kompletten Auges zur Wiederherstellung des Sehvermögens ist aufgrund der komplexen Natur des Auges und Faktoren wie der Nervenregeneration, der Immunabstoßung und der Durchblutung der Netzhaut bislang unmöglich. Für eine erfolgreiche Wiederherstellung des Sehvermögens wäre die Wiederherstellung der Verbindung zwischen Sehnerv und Gehirn eine grundlegende Voraussetzung.
Dr. Rodriguez entschied sich in Zusammenarbeit mit dem Team des NYU Langone Transplantation and Cellular Therapy Center das Spenderauge mit adulten Stammzellen aus dem Knochenmark des Spenders zu kombinieren. Adulte Stammzellen, die transplantiert werden, können als natürliche „Reparaturmannschaft“ fungieren, indem sie gesunde Zellen bilden, die die beschädigten oder funktionsgestörten Zellen ersetzen.
„Dies ist der erste Versuch, adulte Stammzellen während einer Transplantation in einen menschlichen Sehnerv zu injizieren, in der Hoffnung, die Nervenregeneration zu verbessern“, sagte A. Samer Al-Homsi, MD MBA, geschäftsführender Direktor des Zentrums für Transplantation und Zelltherapie und Professor an der medizinischen Fakultät der NYU Langone. „Wir haben uns für CD34-positive Stammzellen entschieden, die nachweislich das Potenzial haben, geschädigte Zellen zu ersetzen und neuroprotektive Eigenschaften aufweisen.“
„Wir haben jetzt gezeigt, dass das Verfahren sicher und potenziell wirksam ist, aber wir brauchen Zeit, um festzustellen, ob dieser Schritt eine Rolle bei der Verbesserung der Chance auf Wiederherstellung des Sehvermögens spielt und ob es noch etwas gibt, was in Zukunft getan werden kann, um das Verfahren zu optimieren“, fügte Dr. Al-Homsi hinzu.
Die Ärzte sind mit ihren Ergebnissen sehr zufrieden: „Die Fortschritte, die wir bei dem Auge gesehen haben, sind außergewöhnlich, vor allem wenn man bedenkt, dass wir fünf Monate nach dem Eingriff eine funktionsfähige Hornhaut und eine gut durchblutete Netzhaut haben. Dies übertrifft bei weitem unsere anfänglichen Erwartungen. Wir hatten ursprünglich gehofft, dass das Auge mindestens 90 Tage überleben würde“, sagte Dr. Bruce Gelb, Transplantationschirurg am NYU Langone Transplant Institute.
Aaron James 5 Monate nach der Transplantation. Bild: Mateo Salcedo / NYU Langone Health
Dr. Rodriguez, Dr. Dedania und ein multidisziplinäres Team aus Forschern und Klinikern - darunter führende Ärzte aus den Bereichen Neurologie, Augenheilkunde, Radiologie und Neuroradiologie - treffen sich weiterhin und diskutieren Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem transplantierten Auge stellen, sowie Möglichkeiten zur Messung von Anzeichen für eine Wiederherstellung des Sehvermögens. James wird sich weiterhin verschiedenen klinischen Tests an seinem neuen linken Auge unterziehen. Dazu gehört u. A. die Elektroretinographie, die elektrische Spannungsschwankungen am Auge aufzeichnet, die bei plötzlichen Änderungen der Belichtungsverhältnisse der Netzhaut auftreten. Sie gibt Auskunft über den funktionellen Zustand der lichtempfindlichen Nervenzellen und der inneren Nervenzellschichten der Netzhaut.
„Was wir jetzt erleben, haben wir nie erwartet oder gedacht“, erklärt Dr. Dedania, der James Augen regelmäßig untersucht hat. „Der erste Schritt besteht darin, einen intakten Augapfel zu haben, danach kann noch vieles kommen; dies ist eine Weltpremiere, wir lernen also wirklich Schritt für Schritt.“
Quelle: NYU Langone Health