Augenärztliche Versorgung von Kindern zunehmend in Gefahr
Die Bedingungen der kinderophthalmologischen Versorgung verschlechtern sich weiter.
Die Erkennung von Sehfehlern bei Kindern ist von erheblicher Bedeutung. Bei Unter-Sechsjährigen kann sich aufgrund eines nicht entdeckten Schielens oder einer unterlassenen Brillenkorrektur eine Schwachsichtigkeit (Amblyopie) entwickeln, die sich ab sechs Jahren nur noch schwer und nach dem zehnten Lebensjahr in der Regel gar nicht mehr behandeln lässt. Eine lebenslange Beeinträchtigung des Sehens ist dann die unausweichliche Folge. Doch einen Termin zur Kinderaugenärztlichen Untersuchung zu erhalten, gestaltet sich in Deutschland als schwierig. Wie steht es also um die Vorsorge hinsichtlich des Sehvermögens der Kinder in Deutschland?
Insbesondere bei Unter-Vierjährigen, bei denen die Sehschärfe noch nicht ohne Weiteres geprüft werden kann, spielt die Untersuchung des Fundusreflexes eine besondere Rolle (Brückner-Test). Darüber hinaus verwenden Kinderärztinnen und Kinderärzte bei den U-Untersuchungen oftmals automatisierte, technische Geräte, die die Brechkraft (Brillenwerte) der Augen bestimmen können. „Problematisch daran ist, dass auf diese Weise nicht alle Sehfehler erkannt werden können, und dass die Geräte oft falsch positive Befunde anzeigen. Eine Empfehlung zur augenärztlichen Abklärung ist dann die Folge“, berichtet Prof. Klaus Rüther, Ressortleiter Kinderaugenheilkunde beim Berufsverband der Augenärzte e.V. (BVA). Mit einem auffälligen Befund erfahren die Eltern dann, dass es schwierig ist, einen augenärztlichen Termin für eine Kinderuntersuchung zu erlangen. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Brechkraftbestimmung im ersten Lebensjahr ist nicht sinnvoll.
Die Brillenwerte der Kinder ändern sich im ersten Lebensjahr rasch und zumeist ist bis Ende des ersten Lebensjahrs eine Brille nicht notwendig. „Die Information an die Eltern, „Ihr Kind braucht vielleicht eine Brille“ oder „Ihr Kind schielt möglicherweise“, führt vor dem Hintergrund der Schwierigkeit, einen augenärztlichen Termin zu einer speziellen Untersuchung des Kindes zu bekommen, zu einer erheblichen Verunsicherung der Eltern.“, so Rüther. „Darüber hinaus verursachen nicht erforderliche Untersuchungen bei Kindern im ersten Lebensjahr eine Flut von Anfragen bei Augenärztinnen und Augenärzten und behindern potenziell die Versorgung kranker Kinder.“
Familiäre Vorbelastung indiziert eine frühkindliche augenärztliche Untersuchung
Wenn in der Familie Schielerkrankungen, ausgeprägte Weitsichtigkeit (> +3 Dioptrien) oder ein Brillenwertungleichgewicht bekannt sind, ist eine augenärztliche Untersuchung zwischen dem sechsten und dem 12. Monat sinnvoll. Auch wenn in der Familie eine kindliche Katarakt (Grauer Star), ein kindliches Glaukom (Grüner Star) oder kindliche Augentumore (z.B. Retinoblastom) bekannt sind, muss bereits in der ersten Lebenswoche eine augenärztliche Untersuchung erfolgen. Eine sofortige augenärztliche Untersuchung ist auch immer dann erforderlich, wenn augenfällige Veränderungen vorliegen (z.B. Herabhängen der Lider oder ein unterschiedlicher Fundusreflex bei der Fotografie).
Ohne Risikofaktoren bis zum vierten Lebensjahr zum Augenarzt
Aus augenärztlicher Sicht ist bei Kindern ohne Risikofaktoren eine augenärztliche Untersuchung zwischen dem 30. und 42. Lebensmonat sinnvoll, um eine Schwachsichtigkeit zu verhindern bzw. frühzeitig zu behandeln. Häufige Ursachen dafür sind ausgeprägte, teilweise nicht erkennbare Brechkraftfehler, die nur augenärztlich mittels spezieller Augentropfen und gezielter Messungen festgestellt werden können, unterschiedliche Brechkräfte beider Augen sowie ein kleinwinkliges Schielen, was nicht zwingend im Alltag optisch auffallen muss.
Das augenärztliche Angebot von Kinder-Untersuchungen muss verbessert werden
In der älter werdenden Bevölkerung werden Augenerkrankungen immer häufiger. Die augenärztlichen Praxen und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) versorgen daher insbesondere altersbedingte Krankheitsbilder, wie z.B. die Linsentrübung (grauer Star, bzw. Katarakt) und die altersabhängige Makuladegeneration (AMD).
Kinderärztinnen und Kinderärzte argumentieren mit einem erheblich höheren Zeit-, Personal- und Platzaufwand im Vergleich zur Betreuung von Erwachsenen. Dies ist in der Augenheilkunde auch der Fall: Mit den von den Krankenkassen vorgegebenen Erstattungsbeträgen ist eine gründliche augenärztliche Untersuchung von Kindern nicht kostendeckend zu leisten.
„Ein wichtiger Beitrag zur Lösung des Problems wäre die kostendeckende Vergütung augenärztlicher Kinderuntersuchungen“, erläutert Dr. Simone Potthöfer, Augenärztin aus Berlin und Mitglied im Ressort Kinderaugenheilkunde beim BVA. Eine schneller durchzusetzende und ebenso wirkungsvolle Maßnahme seitens der Gesundheitspolitik wäre die Entbudgetierung augenärztlicher Untersuchungen von Kindern unter 14 Jahren. Dieser Weg ist bei der allgemeinen kinderärztlichen Versorgung bereits beschritten worden und sollte auf die augenärztliche Versorgung von Kindern ausgeweitet werden.