Makuläre Teleangiektasie (MacTel) Typ 2: Diagnose, prognostische Biomarker und Therapiestudien

Können Biomarker dabei helfen, die Prognose bei Makulärer Teleangiektasie (MacTel) Typ 2 abzuschätzen? Das untersucht ein internationales Forscherteam aus Augenärzten und weiteren Wissenschaftlern in einer in Scientific Reports (Nature Portfolio) erschienen Studie. Ein Interview mit Erstautor Dr. Lukas Goerdt, Bonn, über die Schwierigkeiten bei der Diagnosestellung bei MacTel, die Ergebnisse der Studie und Therapiemöglichkeiten.

Dr. Lukas Goerdt, Universitäts-Augenklinik Bonn.
Dr. Lukas Goerdt, Universitäts-Augenklinik Bonn.

 

Dr. Lukas Goerdt studierte Medizin an der Universität Bonn und arbeitet seit 2020 als Assistenzarzt an der Bonner Universitäts-Augenklinik.
Er ist Mitglied der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft sowie der International Retinal Imaging Society. Derzeit absolviert er einen DFG-geförderten Forschungsaufenthalt an der University of Alabama at Birmingham in den USA.

 

MacTel Typ 2 ist eine chronische Erkrankung der zentralen Netzhaut. Gekennzeichnet ist sie durch vaskuläre und neurodegenerative Veränderungen, die hauptsächlich temporal zur Fovea auftreten. In den meisten Fällen handelt es sich bei MacTel um eine langsam fortschreitende Erkrankung, die schließlich zum Verlust von Photorezeptoren und zu Funktionseinschränkungen führt. Die Entwicklung sekundärer Neovaskularisationen ist eine mögliche, das Sehvermögen bedrohende Komplikation.

MacTel Typ 2 ist die häufigste Form der makulären Teleangiektasien. Kompetenzzentren für diese Erkrankung gibt es an der Universitäts-Augenklinik in Bonn, dem St. Franziskus-Hospital in Münster und der Klinik für Augenheilkunde in Freiburg.

Herr Dr. Goerdt, die Universitäts-Augenklinik Bonn ist eines der drei deutschen Kompetenzzentren für MacTel Typ 2. Wie viele Patienten werden in Bonn betreut und welche Studien laufen dort zu dieser Erkrankung?

Dr. Lukas Goerdt: Derzeit betreuen wir knapp 400 MacTel Patientinnen und Patienten in Bonn. Ein Großteil befindet sich in der sogenannten „Natural History and Obvservational Registry“ (NHOR) Studie. Wie der Name sagt, handelt es sich hierbei um eine natürliche Verlaufsstudie. Dies bedeutet, das keinerlei Therapie erprobt wird. Ziel ist es viel mehr, den Verlauf der Erkrankung zu beobachten und so Schlüsse über mögliche Ursachen zu ziehen, was wiederum der Entwicklung von neuartigen Therapieansätzen dient. Die Patientinnen und Patienten werden oft von niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen zur Mitbeurteilung zu uns überwiesen oder stellen sich nach eigener Recherche bei uns vor. Die Studie besteht aus einer größeren Einschlussvisite und kleineren Verlaufsvisiten. Beim Erstkontakt wird eine ausführliche Anamnese erhoben, die Patient*innen bekommen Blut abgenommen und durchlaufen eine Vielzahl von Funktionstests und bildgebenden Verfahren. Zum Abschluss werden die Befunde ausführlich erörtert und wir schicken einen detaillierten Bericht zu. Alle weiteren Vorstellungen richten sich nach Bedarf, wir sehen die Patientinnen und Patienten gerne in größeren Zeitabständen, z.B. zwei Jahre, wieder. Sollte es vorher Beschwerden geben oder der/die Hausaugenarzt/Hausaugenärztin nochmal eine Mitbeurteilung empfehlen, können frühere Termine auch unkompliziert vereinbart werden. 

Was weiß man inzwischen über die Ursachen von MacTel Typ 2?

Schlussendlich muss man zugeben, dass die Ursache für MacTel bislang nicht abschließend geklärt werden konnte. Es gibt jedoch Hinweise zu verschiedenen Pathomechanismen. Zunächst scheint eine genetische Komponente zu bestehen. Es konnten einige single nucleotide polymorphisms (SNPs) entdeckt werden, die bei MacTel Patient*innen häufiger erscheinen als bei Gesunden. Auch gibt es Fälle von Zwillingen, die beide betroffen sind. Was genau dahinter steckt ist aber noch nicht geklärt, eine präzise Testung auf ein „MacTel-Gen“ bislang nicht möglich und auch nicht sinnvoll. Im Weiteren scheint eine vaskuläre Genese möglich. Der Anteil an Diabetikern an MacTel Patienten ist deutlich höher als in der Normalbevölkerung. Zudem sind Gefäßveränderungen an der Netzhaut prägend für MacTel und sekundäre Neovaskularisationen eine häufige Komplikation. In einer großen, im New England Journal of Medicine veröffentlichten Studie von 2019 konnte eine metabolische Komponente identifiziert werden. Bei MacTel Patienten besteht im Durchschnitt ein um etwa 20% verringerter Serinspiegel festgestellt. Zudem ist bekannt, dass ein Mangel an Serin zu einer verstärkten Produktion von potenziell neurotoxischen Desoxysphingolipiden führt, dies konnte in einem Tierversuch bestätigt werden. Hier gilt zu beachten, dass dies nicht bei allen Patienten der Fall ist und wir daher von einer eigenmächtigen Serinsupplementierung abraten. Möglich erscheint auch eine neurodegenerative Komponente, es kommt zu einem Untergang von Gliazellen in der Netzhaut und überproportional viele Patienten beschreiben Neuropathien and Händen und Füßen.
Es sind also derzeit viele Ideen und Hypothesen im Umlauf, es bedarf aber noch weiterer Forschung um die Ursachen von MacTel abschließend zu klären.

Die ersten Symptome von MacTel wie Leseschwierigkeiten, Metamorphopsien, verschwommenes Sehen oder Störungen des Kontrastsehens treten auch bei anderen Erkrankungen auf. Welche Anzeichen weisen dann spezifisch auf MacTel Typ 2 hin und wie wird die genaue Diagnose gestellt?

Eine Krux bei der Diagnosestellung ist sicherlich, dass die typischen Symptome sehr unspezifisch sind und oft anderen Erkrankungen wie der AMD oder der diabetischen Retinopathie ähneln können. Typischerweise sind MacTel Patienten jünger als etwa AMD Patienten. Hellhörig sollte man zudem werden, wenn Patienten berichten, dass sie zwar zentral gut und scharf sehen können, aber den Eindruck haben, dass einzelne Buchstaben und Zahlen „springen“ oder gar ganz fehlen. Schlagwörter sind hier das Ausfüllen von Überweisungsträgern oder arbeiten mit Online-Banking Programmen.
In der Funduskopie sollte man auf eine gewisse Symmetrie der Befunde achten, MacTel tritt in der Regel bilateral auf. Veränderungen lassen sich zunächst meist temporal der Fovea feststellen. Sollte man sich der Diagnose unsicher sein, hilft die multimodale Bildgebung weiter. In der OCT sieht man häufig bereits bei frühen Krankheitsstadien Veränderungen im Bereich der ellipsoiden Zone. MacTel Patienten haben keine Drusen. Klassischerweise zeigt die Fundusautofluoreszenz eine Reduktion oder einen kompletten Verlust des Makulapigments. Pathognomische Befunde finden sich in der Fluoreszeinangiographie. Es lassen sich Teleangiektasien temporal der Fovea sowie eine leichte Leckage in der Spätphase feststellen. Sollten weiterhin Unsicherheiten bestehen, sollten die Patienten an ein größeres Zentrum überwiesen werden.

Sie sind Erstautor einer gerade erschienenen Studie zu möglichen Biomarkern von MacTel Typ 2. Worum genau geht es in der Studie?

Ziel unserer Studie war es prognostische Biomarker von MacTel zu identifizieren. Es sind verschiedene strukturelle Veränderungen der Netzhaut, wie zum Beispiel Makulapigmentdichte, Verlust und Reflektivität der ellipsoiden Zone und Veränderungen der Mikrozirkulation, bekannt, die mit einem Progress der Erkrankung korrelieren. Bislang wurde jedoch nicht umfassend untersucht, welche Veränderungen bei Erstuntersuchung eine Voraussage des Krankheitsverlaufs ermöglichen.

Was waren die wichtigsten Ergebnisse? 

Kurz zusammengefasst konnten wir zeigen, dass die zentrale Sehschärfe, die Größe des Verlusts der ellipsoiden Zone sowie die sog. Skeleton density des oberflächlichen Gefäßplexus prognostisch für den weiteren Erkrankungsverlauf bei MacTel sind. Die skeleton density beschreibt die Gesamtdichte von Blutgefäßen auf einer Aufnahme mittels optischer Kohärenztomographie Angiographie, nachdem alle Gefäße auf eine Breite von einem Pixel reduziert wurden. Dies hat zum Vorteil, dass die Gefäßdichte unabhängig der Gefäßbreite analysiert werden kann. So lassen sich Rückschlüsse auf bisweilen nur sehr subtile Veränderungen des Gefäßnetzwerks ziehen.

Multimodale Bildgebung an einem stabilen und einem fortgeschrittenen MacTel-Auge. 
Abkürzungen: CFP Farbfundusfotografie, NIR Nahinfrarot-Reflexionsbild, OCT Optische Kohärenztomografie, SRL-Skelett Superficial retinal layer, skeletonized, MacTel Macular Telangiectasia Type 2, EZ Ellipsoid zone. 
a1-b4: Multimodale Bildgebung eines linken Auges einer 62-jährigen MacTel-Patientin zu Beginn und bei der Nachuntersuchung (18 Monate). a1, a2: Subtiler temporaler Verlust der Netzhauttransparenz (Stadium 2). Die grüne Linie im NIR-Bild zeigt die Position des OCT-B-Scans. a3: Subtile Veränderungen im intraretinalen Gefäßsystem (rote Pfeilspitzen). a4: Skelettiertes Bild des Gefäßsystems in der oberflächlichen Netzhautschicht. Die Gefäße erscheinen dicht gepackt und durchgängig. b1: Subtiler temporaler Verlust der Netzhauttransparenz (Stadium 2). b2: Subtile Veränderungen in der temporalen Vaskulatur. b3: Zuvor beobachtete Veränderungen in der Mikrovaskulatur scheinen sich verschoben zu haben (rote Pfeilspitzen). b4: Keine eindeutigen Veränderungen im Vergleich zu a4 sichtbar. c1-d4: Multimodale Bildgebung eines linken Auges eines 65-jährigen männlichen MacTel-Patienten zu Beginn und bei der Nachuntersuchung (17 Monate). c1: Subtiler Verlust der Netzhauttransparenz am temporalen Rand der Fovea (Stadium 2). c2: Subtile Reflektivitätsveränderungen im Zentrum der Fovea sind sichtbar. c3: Ausgeprägter hyporeflektiver intraretinaler Hohlraum (rote Pfeilspitze) und subtiler EZ-Verlust (blaue Pfeilspitze). c4: Die Gefäße erscheinen im Vergleich zu a4 lockerer angeordnet. d1: Zunehmender Verlust der Netzhauttransparenz am temporalen Rand der Fovea und subtile Gefäßveränderungen (Stadium 3). d2: Subtile Reflektivitätsveränderungen im Foveazentrum sind sichtbar. d3: Hyporeflektive Hohlräume verändern ihr Aussehen (rote Pfeilspitze), Zunahme des EZ-Verlustes. d4: Die Gefäße erscheinen noch weniger dicht gepackt und durchgängig als in c4.

Welche Bedeutung haben diese Ergebnisse für laufende oder geplante Studien?

Die Ergebnisse unserer Studie haben zweierlei Konsequenzen. Zunächst erlauben sie uns Patienten genauer über ihren Erkrankungsverlauf zu informieren. Wir haben nun eine weitere Option Patienten, denen ein ungünstiger Erkrankungsverlauf bevorsteht, darüber aufzuklären. Ebenso können wir diese Patienten priorisiert in Therapiestudien einschließen.

An welchen Möglichkeiten zur Therapie von MacTel Typ 2 wird derzeit geforscht? Und wie ist der Stand bei diesen Forschungen?

Derzeit laufen verschiedene Therapiestudien. Am weitesten vorangeschritten, und bereits in Teilen publiziert sind Untersuchungen zum sog. Ciliary neurotrophic factor (CNTF). Grob zusammengefasst handelt es sich hierbei um ein neurotropes Protein. In der Phase zwei Studie konnte gezeigt werden, dass sich das Größenwachstums des Verlusts er ellipsoiden Zone durch dieses Medikament verringert. Es handelt sich allerdings um ein aufwändiges, chirurgisches Verfahren, in dem ein Implantat an der Sklera fixiert in den Glaskörper eingesetzt wird. Insgesamt handelt es sich aber um das derzeit vielversprechendste Verfahren, das hoffentlich bald der breiten Masse an Patienten zugänglich sein wird.
Wie bereits vorhin kurz angesprochen besteht ein Zusammenhang zwischen einem Mangel an Serin und MacTel, entsprechend liegt eine Supplementierung von Serin nahe. Diese wird derzeit in verschiedenen Zentren in den USA und in Großbritannien untersucht. Ähnlich steht es um eine Therapie mit Fenofibrat, welches in den Stoffwechsel eingreift. Auch hier werden bald erste Ergebnisse vorliegen.
Eine weitere Studie untersucht die Wirkung von einem sog. Subthreshold Laser. Die Studie ist zwar bereits abgeschlossen, Ergebnisse sind allerdings noch nicht publiziert.
Eine zugelassene Therapie mit nachgewiesenem Nutzen besteht somit derzeit noch nicht. Unseren Patienten empfehlen wir einen möglichst gesunden Lebenswandel und regelmäßige augenärztliche Kontrollen. Hilfreich ist auch eine Selbsttestung, z.B. mit dem Amsler-Gitter, um mögliche Veränderungen schnell zu identifizieren.

Originalarbeit

Scientific Reports, Skeleton density and ellipsoid zone loss are prognostic for progression in Macular Telangiectasia Type 2
Lukas Goerdt, Moritz Berger, Julie Jungblut, Jose Luis Rodriguez Garcia, Kristina Pfau, Philipp Herrmann, Frank G. Holz & Maximilian W. M. Wintergerst
DOI: 10.1038/s41598-024-67801-4

Interview: Achim Drucks