Universitätsklinikum Bonn: Kostengünstiges Verfahren zur Bildung von Endothelzellen aus Stammzellen etabliert
Forschenden des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und der Universität Bonn haben einen hocheffektiven, kostengünstigen und reproduzierbaren Weg etabliert, aus humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPSCs) funktionale Endothelzellen für Tests in Zellkulturschalen zu erzeugen. An der Studie war auch das Team um Prof. Volker Busskamp von der Augenklinik am UKB beteiligt.
Die Studienergebnisse wurden im Fachjournal Cardiovascular Research veröffentlicht.
Endothelzellen erfüllen eine Reihe von wichtigen Aufgaben im menschlichen Körper. So sind sie im Auge zum Beispiel entscheidend für die Aufrechterhaltung der Blut-Retina-Schranke. Ihre Dysfunktion kann zu einer Vielzahl von Augenerkrankungen führen, die von entzündlichen Prozessen über Gefäßneubildungen bis hin zu Durchblutungsstörungen reichen.
Außerdem spielen sie unter anderem eine Rolle bei der Entstehung von Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems. Für die Untersuchung der Grundlagen dieser Leiden „in vitro“ werden menschliche Endothelzellen benötigt. „Hierfür sind humane induzierte pluripotente Stammzellen (hiPSCs) ein vielversprechender Ansatz. Da sie noch auf keinen bestimmten Gewebetyp festgelegt sind, haben sie das Potential, sich in viele verschiedene Zelltypen – darunter auch Endothelzellen – zu differenzieren“, sagt Co-Korrespondenz- und Seniorautor Prof. Bernd K. Fleischmann, Direktor des Instituts für Physiologie I am UKB und Mitglied im Exzellenzcluster ImmunoSensation2 und im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Life & Health“ der Universität Bonn.
Transkriptionsfaktoren gezielt aktivieren
In der Vergangenheit wurden bereits unterschiedliche Differenzierungsstrategien für hiPSCs zu Endothelzellen entwickelt. Einer der bisher effizientesten Ansätze basiert auf dem Einsatz unterschiedlicher Wachstumsfaktoren in Kombination mit einem Aufreinigungsschritt, um die erfolgreich generierten Endothelzellen anzureichern. Bei einer anderen Vorgehensweise werden gezielt Transkriptionsfaktoren aktiviert, um die Umwandlung von hiPSCs in Endothelzellen zu steuern. Kürzlich identifizierte ein internationales Forschungsteam um George Church von der Harvard Medical School in Boston (USA) und Volker Busskamp vom UKB den Transkriptionsfaktor „ETS variant transcription factor 2“, abgekürzt ETV2, als bedeutsamen Motor in diesem Prozess. Des Weiteren hat das Team eine hiPSC-Linie, entwickelt, in welcher sich der Transkriptionsfaktor ETV2 durch die Zugabe von dem Antibiotikum Doxycyclin gezielt aktivieren lässt. Dieser bestimmte Stammzell-Typ nennt sich „PGP1 ETV2 iso2“.
Prof. Volker Busskamp, Kritika Sharma und Erstautorin Dr. Sarah Rieck (v. li). Bild: Rolf Müller / Universitätsklinikum Bonn (UKB)
Schneller, kostengünstiger und reproduzierbarer Weg zu humanen Endothelzellen
Die Arbeitsgruppe von Dr. Sarah Rieck vom Institut für Physiologie I hat zusammen mit Kritika Sharma aus dem Team um Prof. Volker Busskamp von der Augenklinik am UKB das Differenzierungsprotokoll für die PGP1-ETV2-iso2-Linie (ETV2-Protokoll) verbessert, sowie dieses mit der Strategie mittels Wachstumsfaktoren verglichen.
„Wir konnten zeigen, dass das von uns verbesserte ETV2-Protokoll effizienter und kostengünstiger ist als das Protokoll mit Wachstumsfaktoren“, sagt Co-Korrespondenz- und Erstautorin Dr. Sarah Rieck, die auch an der Universität Bonn forscht. Denn es liefert schneller Endothelzellen, benötigt weniger Zusätze für das Kulturmedium und kommt ohne einen zusätzlichen Aufreinigungsschritt aus.
Des Weiteren ist das Verfahren gut reproduzierbar und kann problemlos auch auf andere hiPSC-Linien übertragen werden. Die entstandenen Zellen sind nicht mit anderen Zelltypen verunreinigt und auch über längere Kultivierungszeiträume stabil. Sie bilden für Endothelzellen charakteristische Proteine und zeigen auch typische funktionale Eigenschaften von Endothelzellen. Durch eine Modifikation des Differenzierungsprotokolls ist es außerdem möglich, bevorzugt Endothelzellen mit arteriellen oder venösen Merkmalen zu erhalten.
Höherer Reifegrad
Zwar ähneln sie den Endothelzellen, die mit dem Wachstumsfaktor-Protokoll differenziert wurden, es gibt allerdings Hinweise darauf, dass die Endothelzellen des ETV2-Protokolls einen etwas höheren Reifegrad aufweisen. „Im Vergleich zu humanen Endothelzellen aus der Nabelvene sind beide Typen von hiPSC-abgeleiteten Endothelzellen aber als nicht voll ausgebildet einzustufen, was vermutlich auf fehlende äußere Einflüsse wie den nicht vorhandenen Blutfluss zurückzuführen ist“, sagt Co-Autor Prof. Busskamp, Leiter der Arbeitsgruppe „Neurodegenerative Netzhauterkrankungen“ am UKB und Mitglied im Exzellenzcluster ImmunoSensation2 und im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Life & Health“ der Universität Bonn.
Erkrankungen des Blutgefäßsystems in der Zellkulturschale modellieren
Für die Zukunft gehen die Bonner Forschenden davon aus, dass die PGP1 ETV2 iso2-LInie und die daraus erzeugten Endothelzellen dazu genutzt werden, um Erkrankungen des menschlichen Blutgefäßsystems, an denen das Endothel beteiligt ist, in der Zellkulturschale zu modellieren und zu untersuchen. Diese wissenschaftliche Fragestellung wird von Dr. Rieck und Prof. Fleischmann im Projekt C01 im DFG-Sonderforschungsbereich Transregio (TRR) 259 „Aortenerkrankungen“ erforscht. Des Weiteren können die Endothelzellen in der Organoidforschung zum Einsatz kommen, um Organoide mit einem Gefäßsystem zu entwickeln. „Abgesehen davon interessiert es uns auch, welche Kultivierungsmethoden im Anschluss an die Differenzierung den ‘Reifegrad’ der Endothelzellen erhöhen, sodass sie vom Profil her eher erwachsenen, also adulten Endothelzellen entsprechen“, sagt Dr. Rieck.
Ein Fachgespräch mit Prof. Dr. Volker Busskamp zum Thema „Stammzell-Technologien zur Therapie von Netzhauterkrankungen“ sehen Sie hier:
Quelle: Universitätsklinikum Bonn
Publikation: Sarah Rieck, Kritika Sharma, Carlotta Altringer, Michael Hesse, Christos Triantafyllou, Yanhui Zhang, Volker Busskamp, Bernd K. Fleischmann; Forward programming of hiPSCs via the transcription factor ETV2: rapid, reproducible, and cost-effective generation of highly enriched, functional endothelial cells; Cardiovascular Research; DOI: https://doi.org/10.1093/cvr/cvae129