„Der Kongress wird internationaler“ - DOG-Präsident Prof. Dr. Gerd U. Auffarth im Interview

Auch 2024 bietet der DOG-Kongress wieder eine hervorragende Gelegenheit, sich umfassend über die neuesten Erkenntnisse und Innovationen in der Augenheilkunde zu informieren. Neben fachlichen Themen stehen im Berliner Estrel auch berufspolitische Fragestellungen im Fokus. Kongresspräsident Prof. Dr. Gerd U. Auffarth über die internationalen Partnerschaften der DOG, spannende Keynote Lectures, den Einsatz von KI sowie die aktuelle Situation der ophthalmologischen Forschung in Deutschland.

DOG-Präsident Prof. Dr. Gerd U. Auffarth. Bild: Universitätsklinikum Heidelberg
DOG-Präsident Prof. Dr. Gerd U. Auffarth. Bild: Universitätsklinikum Heidelberg

Der diesjährige DOG-Kongress steht unter dem Leitthema „Internationale Zusammenarbeit, Kooperationen und Netzwerke“. Warum haben Sie den Schwerpunkt Ihrer Präsidentschaft auf dieses Thema gelegt?

Prof. Dr. Gerd U. Auffarth: Die Pandemie hat uns gezeigt, wie schnell es passieren kann, dass man abgeschnitten wird von allen Kontakten im privaten wie beruflichen Bereich. Das hatte enorme Auswirkungen auf unser Leben und natürlich auch auf die Medizin, auf wissenschaftliche Kooperationen und den Austausch zwischen den Kolleginnen und Kollegen. Der Ukrainekrieg und der folgende Nahostkonflikt haben die Situation weiterhin verkompliziert und zeigen auch, wie sehr es Polarisierungen in unseren Gesellschaften gibt, die zu immer mehr Konflikten führen. Das Leitthema meiner Präsidentschaft soll diese Themen aufgreifen und für eine bessere Verständigung und ein besseres Miteinander auf allen Ebenen stehen – dazu tragen Netzwerke und Kooperationen bei. 

Wie bildet sich dieses Leitthema im Kongressprogramm ab?

Wir werden viele Beiträge aus unterschiedlichen Ländern haben. Der Kongress der DOG wird internationaler. Die Keynote-Sprecher kommen aus Australien und den USA. Es werden sehr viele Sessions, viele Symposien in Englisch ausgerichtet. Unsere Kollegen aus der Ukraine werden gebührenfrei an dem Kongress teilnehmen können. In der Eröffnungsveranstaltung wird das Leitthema mit „speziellen“ Gastrednern sehr interessant beleuchtet – lassen Sie sich überraschen.

In Heidelberg leiten Sie auch das David J Apple Laboratory. Inwieweit spielen internationale Zusammenarbeit, Kooperationen und Netzwerke eine Rolle für die Arbeit dieser Institution?

Das David J. Apple International Laboratory for Ocular Pathology steht, wie der Name schon sagt, für internationale Forschung im Bereich der Augenheilkunde. Es arbeiten dort faktisch nur ausländische Fellows oder Doktoranden. Die „Labor“sprache ist Englisch. Über 100 Fellows aus über 30 Ländern sind in den vergangenen 15 Jahren dort tätig gewesen. Des Weiteren gibt es Forschungskooperationen mit vielen Institutionen oder auch Firmen aus vielen Ländern weltweit.

Mit welchen internationalen ophthalmologischen Fachgesellschaften arbeitet die DOG besonders eng zusammen?

Da wäre die langjährige Zusammenarbeit mit dem College of Ophthalmology of Eastern, Central and Southern Africa (COECSA) zu nennen, die ihren Ausdruck unter anderem auch in verschiedenen Universitäts-Partnerschaften und einem jährlichen Kongress in Afrika findet, an dem DOG-Mitglieder teilnehmen. Auch die Zusammenarbeit mit der All India Ophthalmological Society (AIOS) und der Federation of European Ophthalmology (FEOph) ist eng. Aktuell bedeutend ist, dass die DOG seit vielen Jahren enge Kontakte mit ukrainischen Augenärztinnen und Augenärzten, der Ukrainischen Ophthalmologischen Gesellschaft sowie vielen ukrainischen Universitäts-Augenkliniken und Forschungseinrichtungen unterhält; diese Kontakte halfen auch dabei, dringend benötigte Materialien in die kriegsgebeutelte Ukraine zu transportieren, die von DOG-Mitgliedern gespendet wurden. Mit der Israelischen Ophthalmologischen Gesellschaft (IOS) wiederum hat die DOG vor zwei Jahren ein Kooperationsabkommen unterzeichnet, um die Zusammenarbeit zu intensivieren. Wir freuen uns sehr auf den Austausch mit israelischen Kolleginnen und Kollegen auf der DOG, die sich in einer sehr schwierigen Situation in ihrem Land befinden. 

Der Einsatz von KI wird auch in der Augenheilkunde immer wichtiger. Welche Aspekte dieses Themas werden auf dem DOG-Kongress behandelt?

Die Augenheilkunde gilt als eines der exemplarischen medizinischen Anwendungsfelder Künstlicher Intelligenz. So sollen Verfahren des Machine Learning eine präzisere Erkennung und gezieltere Behandlung von Makula- und Retinaerkrankungen möglich machen, was bereits in vielen Studien gezeigt werden konnte, die auf dem Kongress vorgestellt werden. Auch kann ein KI-Modell anhand von Fundusbildern etwa Allgemeinerkrankungen erkennen, die Augenuntersuchung bei Diabetes durch KI ist mit hoher Genauigkeit und Sicherheit möglich. Doch derartige Entwicklungen werfen weit reichende Fragen auf mit Blick auf die Rolle und Verantwortung des Arztes und der Ärztin, das Selbstbestimmungsrecht von Patientinnen und Patienten sowie das Verhältnis zwischen beiden Seiten. Auf diesen Aspekt hebt ein Symposium am Samstag ab, das die ethischen Herausforderungen beleuchtet, die KI sowohl in der Patientenversorgung als auch in der Ausbildung mit sich bringen könnte. 

Welche weiteren Entwicklungen erwarten Sie in Sachen KI?

Verfahren des Machine Learning könnten beispielsweise in Zukunft eine präzisere Erkennung und gezieltere Behandlung von Makula- und Retinaerkrankungen ermöglichen. So konnte schon gezeigt werden, dass ein neuronales Netz anhand von Fundusfotos und klinischen Daten den Makulastatus bei einer Netzhautablösung erkennen kann – was wiederum Konsequenzen für den Zeitpunkt der operativen Versorgung einer Netzhautablösung hat. Auch könnte KI helfen, die Wirksamkeit von Eingriffen bei AMD besser einzuschätzen. Was die Katarakt-Chirurgie betrifft, könnte KI möglicherweise dazu beitragen, das individuelle Risiko für einen hohen refraktiven Fehler vor der Operation vorherzusagen. 

Weitere Schwerpunkte des DOG-Kongresses sind Implantate in der Ophthalmochirurgie sowie Fortschritte in der Transplantationschirurgie. Welche Implantate und Verfahren sind hier besonders interessant?

Im Bereich der Hornhautchirurgie sind Themen wie Tissue-Engineering, künstliche Hornhäute bzw. die künstliche DMEK-Lamelle zu nennen. Aber auch die Verfügbarkeit und Kommerzialisierung der injizierbaren Endothelzellen wird jetzt kommen. 
Im Bereich der Intraokularlinsen werden immer mehr Optiken und Implantate entwickelt. Bei den Tiefenschärfenlinsen (EDOF-IOLs) und Trifokallinsen gibt es weitere Verbesserungen, insbesondere was das Vermeiden von Dysphotopsien angeht. Nicht-diffraktive Optiksysteme sind hier im Kommen.
Bei den Glaukomimplantaten wird das Angebot langsam so unübersichtlich wie bei den Intraokularlinsen. Immer mehr MIGS-Implantate oder Verfahren werden vorgestellt. Einige Symposien und Sessions beschäftigen sich hier insbesondere mit prospektiven randomisierten Studien, die objektive Daten liefern sollen.
Selbst im Bereich der Forschung an Glaskörperersatzstoffen gibt es neue Entwicklungen, die sehr spannend sind. Dies ist ein Bereich, der in Deutschland nur von wenigen bearbeitet wurde.

Netzwerke sind gerade für junge Ophthalmologen und den wissenschaftlichen Nachwuchs wichtig. Wie fördert der Kongress die Möglichkeit, sich zu vernetzen?

Die AG Young DOG ist da immer eine hervorragende Adresse. Auch auf der DOG 2024 gibt es wieder ein Symposium der Young DOG – in diesem Fall zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Karriere – mit anschließendem Get together. Das ist eine tolle Gelegenheit zum zwanglosen Netzwerken mit erfahrenen Forschenden, Mentorinnen und Mentoren sowie leitenden Ärztinnen und Ärzten. Natürlich richten sich auch zahlreiche Kurse und Sitzungen an Nachwuchsforschende und Studierende, auf der Homepage ist dafür eine eigene Seite mit Angeboten für den wissenschaftlichen Nachwuchs angelegt. Die Themen reichen von DOG-Doktorandenstipendien, Beratungsgespräche für DFG-Anträge über Hilfestellungen auf dem Weg zur Fachärztin oder Facharzt bis hin zu Tipps für die Selbständigkeit. 

Welche Keynote Lectures stehen auf dem Programm?

Das Erreichen eines perfekten refraktiven Ergebnisses ist für Patientinnen und Patienten enorm wichtig, wie wir wissen. Der australische Kataraktchirurg Graham Barrett wird in seiner Keynote diskutieren, wie wir die Vorhersagegenauigkeit des refraktiven Ergebnisses noch weiter verbessern können. Wird die Anpassung der Linsenstärke in der postoperativen Phase die Vorhersage durch Formeln ablösen? Oder kann künstliche Intelligenz den Weg weisen? Barrett meint, dass die Einbeziehung neuer Parameter und präziserer Messungen wahrscheinlich eine größere Chance bieten, unser Ziel einer perfekten Vorhersage in Zukunft zu erreichen. Mit großer Spannung erwarten wir auch die Keynote von Albert Jun aus den USA, dessen Forschungen zur Fuchs-Dystrophie sich in den vergangenen 25 Jahren auf die Pathogenese und mögliche, nicht-chirurgische Behandlungsmethoden konzentrierten – Jun wird die wichtigsten Aspekte seiner wissenschaftlichen Aktivitäten auf diesem Gebiet vorstellen. Am Samstag geht es schließlich um das faszinierende Thema Genome-Editing-Technologien. Der polnisch-amerikanische Biochemiker Krzysztof Palczewski wird in seiner Keynote die Fortschritte auf diesem relativ neuen Gebiet aufzeigen, wozu die Entwicklung von Therapeutika gehört, einschließlich der Unterbrechung von Genen, Ablate-and-Replace-Strategien und Präzisionsgenkorrekturtechniken wie Base Editing und Prime Editing. Das Genome Editing garantiert theoretisch eine dauerhafte Genkorrektur und lang anhaltende Behandlungseffekte, indem es die körpereigene DNA direkt verändert – das gilt auch für das Glaukom oder die AMD, wie Palczewski darlegen wird. 

Wenn man die Situation der ophthalmologischen Forschung in Deutschland mit der in anderen Industrienationen vergleicht, wo sind wir besonders gut aufgestellt? Und wo gäbe es Ihrer Meinung nach Verbesserungsbedarf?

Die Augenheilkunde ist ein extrem innovativer Bereich der Medizin. Augenheilkundliche Forschung in Deutschland ist sehr erfolgreich, weltweit auf Platz 4, kann aber gerade im Bereich Transfer und intellectual property (IP) noch besser werden. Das sind die Ergebnisse einer kürzlich durchgeführten externen Evaluation der Forschungsleistung in Deutschland durch ein internationales Expertengremium. Hier wurde das gute Preis-Leistungs-Verhältnis der deutschen Forschungslandschaft in der Augenheilkunde gelobt. Da Deutschland aber mit einer alternden Gesellschaft konfrontiert ist und Sehbehinderungen eine immer größere ökonomische Belastung darstellen, schlugen die Gutachter mehrere Ziele für zukünftige Aktivitäten vor: eine verstärkte Sicherung des geistigen Eigentums, mehr IP (Patente) Aufbau, Transfer, mehr Lobbyarbeit mit Patientenvertretern, eine intensivere nationale Zusammenarbeit und den Aufbau einer kritischen Masse zwischen den Leuchttürmen der ophthalmologischen Forschung in Deutschland sowie die Einrichtung eines Deutschen Nationalen Augenforschungsinstituts. 

Viele DOG-Studienzentren nehmen einen Rückgang an Studienanfragen wahr. Woran liegt das Ihrer Meinung nach und wie ließe sich die Situation wieder verbessern?

Die EU-Regularien zur Zulassung von z.B. Medizinprodukten oder Medikamenten sind in den letzten Jahren extrem verschärft worden (Stichwort MDR), was eine erhebliche Innovationsbremse darstellt und die Industrie mit sehr hohen Kosten und langwierigen Zulassungsverfahren konfrontiert. Auch sind die Anforderungen für klinische Studien, was das wissenschaftliche Personal angeht, von vielen Institutionen kaum noch zu erfüllen. Daher werden weniger Studien in Deutschland durchgeführt, bzw. nur noch wenige Kliniken haben das Personal und Know-How. Offensichtlich ist das auf politischer EU-Ebene durchaus wahrgenommen worden. Aber ein Rückbau der gesetzlichen Regularien ist ebenso langwierig und schwierig.

Interview: Achim Drucks