Der IGeL-Monitor: Information und Transparenz oder IGeL am Spieß?
Fazit zur negativ Bewertung "OCT zur Früherkennung eines Glaukoms". Wie kommt der MDS zu seiner Bewertung?
Die IGeL „OCT zur Früherkennung eines Glaukoms“ ist die 51. Leistung, die der IGeL-Monitor (www.igel-monitor.de) inzwischen bewertet hat. Bislang wurde keine IGeL uneingeschränkt positiv bewertet, lediglich 2 sieht der MDS (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V.), als Initiator und Auftraggeber des IGeL-Monitors, als tendenziell positiv an. Unklar in der Bewertung sind 20, tendenziell negativ 22 und negativ 4 (hier die Übersicht: https://www.igel-monitor.de/igel-a-z.html). Die OCT zur Früherkennung eines Glaukoms ist jetzt eine der 22 IGeL, die als tendenziell negativ bewertet wurden.
Wie kommt der MDS zu seiner Bewertung?
Zur Bewertung der „OCT zur Früherkennung eines Glaukoms“ als tendenziell negativ kam man mithilfe einer Recherche nach Übersichtsarbeiten und Primärstudien, die die folgende Frage beantworten sollten: „Lässt sich bei Menschen ohne Beschwerden ein Glaukom, das mit Hilfe der OCT in einem frühen Stadium entdeckt wurde, aufhalten oder der Verlauf der Erkrankung zumindest abschwächen?“ In einem zweiten Schritt fragte der IGeL-Monitor, ob ein früher Therapiebeginn bessere Ergebnisse erzielt als ein später. Konkret: „Können Augentropfen zur Senkung des Augeninnendrucks und andere Therapien ein frühes Glaukom besser als ein spätes Glaukom aufhalten oder den Krankheitsverlauf zumindest besser abschwächen?“ Es wurden keine Studien zu Nutzen und Schaden der IGeL gefunden. Auch Studien zur Therapievorverlagerung überzeugten die Autoren des Berichts zur Bewertung der OCT zur Früherkennung eines Glaukoms nicht.
Abschließend ging man der Frage nach, ob durch die OCT Schäden entstehen können. Direkte Schäden der OCT seien nach Ansicht des MDS „bei sachgemäßem Einsatz nicht zu erwarten“. Indirekte Schäden könnten bei Früherkennungsuntersuchungen grundsätzlich entstehen, was sich auch auf die Glaukom-Früherkennung übertragen lasse: Demnach könnten Glaukome übersehen, Veränderungen am Sehnerv fälschlich als krankhaft eingestuft und frühe Glaukome unnötigerweise behandelt werden, weil sie nie zu einer Sehbeeinträchtigung geführt hätten. Auch Augentropfen zur Drucksenkung seien zwar in der Regel gut verträglich, könnten aber durchaus Nebenwirkungen haben.
Bei der Abwägung des Schaden- und Nutzenpotenzials kamen die Experten des IGeL-Monitors daher zu dem Schluss, dass diese Früherkennungsuntersuchung mit „tendenziell negativ“ zu bewerten sei (Details hier: ogy.de/i4sc).
Aber die OCT wird doch in den Leitlinien gar nicht zur Früherkennung empfohlen!
Der IGeL-Monitor hat vor seiner Recherche zum Thema recherchiert, ob die OCT überhaupt zur Früherkennung eingesetzt wird: „Eine erste Nachfrage bei Augenärzten zum Stellenwert der OCT zur Früherkennung ergab, dass der Einsatz skeptisch gesehen wird. Auch in den Leitlinien wird diese Untersuchung nicht zur Früherkennung empfohlen.“ Zudem würde eine Informationsbroschüre der Ärzteschaft zum Glaukom zwar eine Glaukom-Früherkennung empfehlen, jedoch nicht die OCT, sondern die Augeninnendruckmessung und Augenspiegelung. So auch der 1. Vorsitzende des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands (BVA), Prof. Dr. Bernd Bertram: „Der BVA empfiehlt OCT-Untersuchungen bei Glaukomverdacht zur weiteren Abklärung und zur Verlaufskontrolle bei bestehendem Glaukom. Für die Früherkennung hat sich die Kombination aus der Untersuchung des Sehnervenkopfes an der Spaltlampe und der Augeninnendruck-Messung bewährt.“ (Quelle: ogy.de/u7cu)
Allerdings scheinen Theorie und Praxis – zumindest laut MDS – bei einigen Augenärzten etwas auseinander zu liegen: „Eine Recherche des IGeL-Monitors bei 100 augenärztlichen Praxen zeigt: Etwa 80 Prozent der Praxen bieten die OCT an, davon 58 Prozent für das Glaukom und 35 Prozent explizit zur Glaukom-Früherkennung.“
Dies sieht der MDS auch durch das Nutzerverhalten auf seinem Internetportal (www.igel-monitor.de) bestätigt: Dort informieren sich laut MDS knapp 2.000 Besucher täglich, besonders groß scheint das Informationsbedürfnis bei IGeL in der Augenarztpraxis zu sein. Denn laut MDS würden von den insgesamt 51 Bewertungen im IGeL-Monitor die beiden bisherigen Bewertungen zur Glaukom-Früherkennung am meisten abgerufen – sie machten rund 15 Prozent der Seitenaufrufe aus. Und bei den Zuschriften von Versicherten an den IGeL-Monitor thematisierten knapp 40 Prozent augenärztliche IGeL. Die Erfahrungen, die dabei geschildert würden, belegten zum Teil aggressives Praxismarketing. So berichteten Versicherte vielfach, dass sie bereits von den Praxiskräften zum Kauf von IGeL aufgefordert würden oder dass davon der Arzttermin abhängig gemacht würde. Dr. Peter Pick, Geschäftsführer des MDS zieht daraus die Schlussfolgerung: „Augenarztpraxen halten sich häufig nicht an die anerkannten Regeln für den Verkauf von IGeL. Stattdessen wird ausgesprochen unseriöses Marketing betrieben und selbst vulnerable Patientengruppen wie ältere Menschen, Patienten mit wenig Geld und Versicherte in ländlichen Regionen mit wenig Praxisangebot fühlen sich unter Druck gesetzt.“
Es ist eine Binsenweisheit, dass sich vor allem sehr glückliche und sehr frustrierte Patienten zu Wort melden, die Stille und zufriedene Masse schweigt in der Regel.
Fazit
Im Grunde sind sich MDS und Augenärzte einig: Die OCT eignet sich nicht zur Früherkennung eines Glaukoms. Diese Ansicht wird durch die Recherche des MDS noch untermauert und muss nicht angezweifelt werden. Mindestens rund 2/3 der insgesamt 6.294 ambulant tätigen Augenärzte (Quelle: Ärztestatistik der BÄK, Stand: 31.12.2018) sind offensichtlich ebenfalls dieser Meinung und bieten – auch das hat der MDS recherchiert – die OCT gar nicht erst zur Früherkennung an.
Bleiben die 35 % der ambulant tätigen Augenärzte (2.203 an der Zahl), die die OCT zur Früherkennung anbietet. Ob es wirklich 35 % sind, lässt sich übrigens nur schwer eruieren. Denn die oben erwähnte „Recherche des IGeL-Monitors bei 100 augenärztlichen Praxen“ ergab sich aus den 100 obersten Treffern bei einer Google-Recherche (Quelle: ogy.de/i4sc, Seite 8). Einer wissenschaftlichen Überprüfung würde diese Art der Stichprobenahme wohl nicht standhalten, aber die Zahl steht nun einmal im Raum.
Unter diesen 35 % gibt es bestimmt einige Augenärzte, die wirklich überzeugt sind von der Aussagekraft der OCT bei der Früherkennung und sich auf ihr Erfahrungswissen verlassen. Und dann wird es einige geben, die auf Bitten der Patienten handeln. Und ganz am Ende bleiben die, die – ebenso wie der MDS – wissen, dass Schäden durch die OCT „bei sachgemäßem Einsatz nicht zu erwarten“ sind und beim Anbieten u.a. deshalb vielleicht über das Ziel hinausschießen. Letztere sollte der BVA – gern auch öffentlich – ansprechen, um die Gemeinschaft der seriösen Augenärzte vor Reputationsverlusten zu bewahren und die Augenheilkunde aus der Schusslinie zu holen.