Wahlleistungspatienten: Private Kassen stellen Vertretungsvereinbarungen infrage
Vergütungsrecht : Aktuelle Probleme mit Vertretungsvereinbarungen
Vergütungsrecht
Wahlleistungspatienten: Private Kassen stellen Vertretungsvereinbarungen infrage
von RA,FA ArbR und MedR Dr. Tilman Clausen, armedis Rechtsanwälte Hannover, armedis.de
Wahlärztliche Leistungen zu erbringen, gehört normalerweise zu den wesentlichen Aufgaben des Chefarztes. Sie sind in seinem Chefarztdienstvertrag vereinbart worden, unabhängig davon, ob der Krankenhausträger dem Chefarzt das Liquidationsrecht gewährt hat oder ob er nur über eine Beteiligungsvergütung an den Einnahmen aus Privatliquidation partizipiert oder über eine Zielvereinbarung an diesen Einnahmen beteiligt ist.
Aktuelle Probleme mit Vertretungsvereinbarungen
Der Chefarzt muss die dienstlichen Leistungen zumindest in ihrem Kernbereich persönlich erbringen, damit sie gegenüber dem Wahlleistungspatienten abrechenbar sind. Der Kernbereich der wahlärztlichen Leistungen wird je nach Fachrichtung unterschiedlich definiert. Ist der Chefarzt in dem sogenannten Kernbereich verhindert, die wahlärztlichen Leistungen persönlich zu erbringen, muss er sich vertreten lassen. Voraussetzung dafür ist das Vorliegen einer wirksamen Vertretungsvereinbarung. Dies galt jahrelang als gesichert, wird in jüngster Zeit aber von einer Vielzahl privater Krankenversicherungen infrage gestellt – mit erheblichen Konsequenzen für die privatärztliche Abrechnung im Krankenhaus!
Die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs (BGH)
Der BGH hat in einem Urteil vom 20.12.2007 zwischen zwei Möglichkeiten für Chefärzte unterschieden, sich im Kernbereich der wahlärztlichen Leistungen vertreten zu lassen, damit trotz Verhinderung des Wahlarztes weiter abgerechnet werden kann (Az. III ZR 144/07):
- Die Verhinderung des Chefarztes/Wahlarztes ist bei Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung nicht vorhersehbar. Hier kann der vor Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung benannte ständige ärztliche Vertreter tätig werden, ohne dass der Abschluss einer gesonderten Vertretungsvereinbarung erforderlich ist.
Merke: Grundsätzlich ist nur ein ständiger ärztlicher Vertreter pro Wahlarzt denkbar, was der BGH mit dem Wortlaut der §§ 4 Abs. 2, 5 Abs. 5 GOÄ begründet. Man kann allerdings den Zuständigkeitsbereich des Chefarztes so aufteilen, dass mehrere Ärzte jeweils für einen Teil seines Zuständigkeitsbereichs alleiniger ständiger ärztlicher Vertreter werden, wobei diese Aufteilung transparent sein muss (Oberlandesgericht [OLG] Celle, Urteile vom 15.06.2015, Az. 1 U 97/14 und 1 U 98/14).
- Die Verhinderung des Chefarztes ist bei Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung bereits vorhersehbar. Hier ist eine individuelle Vertretungsvereinbarung abzuschließen. Eine solche Vereinbarung liegt vor, wenn der Patient sich durch Ankreuzen zwischen verschiedenen Alternativen, die sich gegenseitig ausschließen, entscheiden und somit den Inhalt der Vereinbarung entscheidend mitbestimmen kann. Die Vertretung des Chefarztes durch einen in der Vereinbarung benannten ärztlichen Vertreter, der nicht der ständige ärztliche Vertreter sein muss, ist nur eine dieser Alternativen.
In dem Rechtsstreit, den der BGH in seinem Urteil vom 20.12.2017 zu beurteilen hatte, war der Grund der Verhinderung des Chefarztes/Wahlarztes bekannt. Der BGH hat sich somit nicht zu der Frage geäußert, ob der Verhinderungsgrund ansonsten in der Vertretungsvereinbarung hätte angegeben werden müssen.
Verhinderungsgrund in jeder (!) Vereinbarung angeben?
Die vorstehend skizzierten Aussagen des BGH haben jahrelang zu Rechtssicherheit geführt. Insbesondere in den Fällen, in denen eine individuelle Vertretungsvereinbarung benötigt wurde, konnte man Chefärzten empfehlen, das Muster einer solchen Vereinbarung vorzuhalten, die im Vertretungsfall dann zur Anwendung kommen konnte. Seit Anfang 2018 hat sich dies, insbesondere durch zwei Beschlüsse des Hanseatischen OLG vom 15.01.2018 und 27.03.2018, geändert (Az. 3 U 220/16). Denn nach Meinung des OLG ist eine individuelle Vertretungsvereinbarung, im Fall, dass die Verhinderung des Wahlarztes vorhersehbar ist, nur wirksam, wenn der Patient sich durch Ankreuzen nicht nur zwischen verschiedenen Behandlungsalternativen entscheiden kann, die sich gegenseitig ausschließen. Sondern es wird zusätzlich verlangt, dass der jeweilige Verhinderungsgrund des Wahlarztes angegeben wird und von wann bis wann der Wahlarzt verhindert ist.
Diese restriktive Sichtweise des OLG wird verständlich, wenn man sich den konkreten Sachverhalt anschaut, über den das Gericht zu entscheiden hatte. Dort hatte der Kläger, ein Chefarzt aus Hamburg, wahlärztliches Honorar gegenüber einer Patientin eingeklagt, die während eines mehrmonatigen Krankenhausaufenthalts insgesamt 26 Mal operiert worden war. Drei Mal war der Kläger selbst tätig geworden. Alle weiteren 23 Operationen waren von einer Vielzahl diverser Oberärzte und Fachärzte durchgeführt worden. Der Kläger hatte zwar für jede Operation eine Vertretungsvereinbarung vorlegen können, diese waren aber teilweise gar nicht unterschrieben oder erst nach der jeweiligen Operation abgeschlossen worden, sodass das OLG hier davon ausging, dass mit der Möglichkeit des Wahlarztes, sich vertreten zu lassen, eklatanter Missbrauch getrieben wurde, was sich in den Entscheidungsgründen des Urteils überaus deutlich niederschlägt.
Die Reaktion der privaten Krankenversicherungen
Eine ganze Reihe privater Krankenversicherungen haben die Beschlüsse des Hanseatischen OLG zum Anlass genommen, bei Vorliegen von individuellen Vertretungsvereinbarungen, aus denen sich der Verhinderungsgrund des Wahlarztes und/oder die Dauer seiner Abwesenheit nicht entnehmen lassen, die Zahlung des wahlärztlichen Honorars zu verweigern. Zunächst wurden Zahlungen noch nachgeholt, wenn vonseiten der anwaltlichen Bevollmächtigten der betroffenen Chefärzte der Verhinderungsgrund und die Dauer der Abwesenheit des Wahlarztes nachgereicht wurden, zwischenzeitlich wird gar nicht mehr gezahlt und es wird sich zur Begründung auf die Beschlüsse des Hanseatischen OLG berufen.
Was tun gegen die Praktiken der privaten Kassen?
Chefärzte, die von der Verweigerungshaltung der privaten Krankenversicherungen betroffen sind, haben zwei Möglichkeiten:
- Lassen Sie die in Ihrer Abteilung/Klinik vorgehaltene individuelle Vertretungsvereinbarung dahin gehend ergänzen, dass nunmehr auch der jeweilige Abwesenheitsgrund und die Dauer der Verhinderung individuell eingetragen werden können. Damit sollten sich Abrechnungsprobleme, Korrespondenz mit den Kostenträgern und Rechtsstreitigkeiten vermeiden lassen.
- Erheben Sie (oder der Krankenhausträger) Klage unter Berufung auf die vorhandene Vertretungsvereinbarung, wenn diese den Anforderungen der Rechtsprechung des BGH genügt, d. h., der Patient sich hier durch Ankreuzen zwischen verschiedenen Alternativen entscheiden konnte, die sich gegenseitig ausschließen. Für die Wahl dieser Option sprechen eine Reihe von Gründen. Wenn der Grund für die Abwesenheit des Chefarztes höchstpersönlicher Natur ist, stellt sich die berechtigte Frage, ob dies den Patienten und/oder den Kostenträger überhaupt etwas angeht. Die Dauer der Abwesenheit des Chefarztes wird sich beispielsweise bei der Abwesenheit wegen Krankheit bei Abschluss der Vertretungsvereinbarung nicht immer exakt vorhersagen lassen. Was soll dann gelten, wenn der Chefarzt länger abwesend ist als in der Vertretungsvereinbarung angegeben? Zudem spricht vieles dafür, dass in den Beschlüssen des Hanseatischen OLG nur der individuelle Einzelfall geregelt werden sollte, bei dem der Kläger offensichtlich Missbrauch getrieben hat mit der Möglichkeit, sich vertreten zu lassen.
„Weiter so“ ist keine Option, denn Abrechnungsbetrug droht
Von der Option, die bisherige Vertretungsvereinbarung einfach weiterhin zu benutzen, und immer dann, wenn der Kostenträger nicht zahlt, weil der Verhinderungsgrund und die Dauer der Abwesenheit nicht angegeben worden sind, den Zahlungsanspruch aufzugeben, ist abzuraten! Denn wenn Chefärzte wiederholt mit Vertretungsvereinbarungen bei der Abrechnung wahlärztlicher Leistungen arbeiten, die die Kostenträger als unwirksam ansehen und dann das Verfahren nicht weiterverfolgen, wenn der Kostenträger die Zahlung verweigert, könnte dies nach einer gewissen Zeit zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen führen. Hier würde dem Chefarzt dann vorgeworfen, dass er durch sein Verhalten, die Angelegenheit jeweils nicht weiterzuverfolgen, wenn der Kostenträger die Erstattung ablehnt, gezeigt habe, dass ihm eigentlich klar gewesen sei, dass er so nicht hätte abrechnen dürfen, sodass die für den Abrechnungsbetrug erforderliche Täuschungshandlung vorliegen würde.