PRO RETINA stärkt das Ehrenamt für Selbsthilfe
Aktion Mensch fördert Ausbau von ehrenamtlichen Unterstützungsstrukturen für Menschen mit Netzhauterkrankungen
Bonn – 250 Aktive sind in fast 60 Regionen Deutschlands für Menschen mit Netzhauterkrankungen, die vererbt oder im Laufe des Lebens erworben wurden, aktiv. Sie informieren, beraten, ermutigen und treiben Entwicklungen in der Forschung, Gesundheitsversorgung und bei der Verbesserung der Lebenssituation voran. „Dem persönlichen Einsatz unserer Aktiven sind maßgebliche Erfolge für Menschen mit Netzhauterkrankungen in den vergangenen 40 Jahren zu verdanken“ betont Franz Badura, Vorsitzender PRO RETINA Deutschland.
Foto: Tanja Kaiser-Burghard / Pro Retina - Geschäftstelle Bonn
PRO RETINA kann jedoch noch nicht überall da sein, wo dieses Engagement gebraucht wird. Das soll sich ändern, dank einer Förderung durch die Aktion Mensch. Im kommendem Jahr wird damit Tanja Kaiser-Burgard von der Geschäftsstelle in Bonn aus Aktive beim Ausbau der ehrenamtlichen Aktivitäten wie Treffen, Symposien und Aufklärungsaktionen unterstützen. Besonders in den ländlichen Regionen Sachsens, Thüringens, Oberfrankens oder in den küstennahen Gebieten fehlen bisher Möglichkeiten der Beratung und des Austausches unter Gleichbetroffenen.
Tanja Kaiser-Burgard – selbst mit langjährigen Erfahrungen im Ehrenamt – freut sich auf die neue Aufgabe bei PRO RETINA Deutschland. Sie ist begeistert von der Power und dem Ideenreichtum, mit denen sich Menschen trotz teils massiver Seheinschränkungen bei PRO RETINA Deutschland einbringen. Gerne wird sie dieses Engagement zukünftig zum Beispiel mit der Erhebung von Interessen und speziellen Unterstützungsbedarfen der Aktiven unterstützen. Sie wird barrierefreie Arbeitsvorlagen und Arbeitshilfen für sie erarbeiten und bei der Vernetzung mit Trägern und Partnern des sozialen Raumes flankierend tätig sein. Ein großer Teil ihrer Arbeit ist der Gewinnung und Begleitung neuer Ehrenamtlicher gewidmet, die sich in einem der zahlreichen Engagementfelder von PRO RETINA engagieren wollen.
Teil einer guten Sache werden - für sich und andere
Viele Aktive erleben ihr ehrenamtliches Engagement in der PRO RETINA als Win-Win-Situation, so auch Ursula Nölle aus Bonn, wie sie in einem Interview schildert (siehe Interview dirket im Anschluss). Sie begann sich vor vier Jahren in der PRO RETINA Sprechstunde in Bonn zu engagieren. Das ist ein ehrenamtliches Beratungsangebot, das PRO RETINA mittlerweile an zehn Augenkliniken oder Augenzentren bundesweit anbietet. Aufgrund ihres fortgeschrittenen Sehverlustes durch Morbus Stargardt, einer seltenen Netzhauterkrankung, hatte Ursula Nölle ihren Beruf als Arzthelferin nach 24 Berufsjahren aufgeben müssen. Sie fand in der PRO RETINA nicht nur Menschen, die sie verstanden, sondern auch im ehrenamtlichen Engagement Aufgaben, die sie voranbringen und Freude machen.
Ursula Nölle resümiert anlässlich des Tages des Ehrenamtes: „Ich merke, wie ich immer mehr in diese Arbeit hineinwachse und neue Aufgaben mutiger angehe, auch, wenn meine Erkrankung weiter voranschreitet.“
Sie fand in Bonn ein tolles ehrenamtliches Team, sowohl in der PRO RETINA Sprechstunde an der Uniklinik Bonn, als auch in der Regionalgruppe. Hier, so Nölle, geben wir Betroffenen eine Menge an Unterstützung und stellen gemeinsam viel auf die Beine. Ihr Fazit: „Es tut gut, Teil einer Organisation zu sein, die so viel bewegt“.
Mehr Informationen in einem Interview mit Ursula Nölle zu ihren Erfahrungen im Ehrenamt für die Selbsthilfe.
Für sich und andere aktiv Ehrenamt in der Selbsthilfe bietet Perspektiven
Foto: Ursula Nölle / quelle : PRO RETINA
Mit 22 Jahren bekam Ursula Nölle die Diagnose „Morbus Stargardt“- einer Netzhauterkrankung, die in der Regel in jungen Jahren beginnt. Im Verlauf wird die Netzhautmitte als Stelle des schärfsten Sehens (Makula) immer stärker beeinträchtigt. Die Konsequenzen für ihr Leben verstand sie erst viel später. Da war sie verheiratet, hatte einen Sohn und liebte ihren Beruf als Arzthelferin. Nach 24 Berufsjahren musste sie sich jedoch eingestehen, dass durch die chronische Erkrankung ihr Sehverlust so weit fortgeschritten war, dass dies das berufliche Aus bedeutete. In der PRO RETINA fand sie nicht nur Menschen, die sie verstanden, sondern auch im ehrenamtlichen Engagement Aufgaben, die sie voranbringen und Freude machen.
Frau Nölle, können Sie sich an ihr „erstes Mal“ erinnern, sich im Kreis der Selbsthilfe mit ihrer Erkrankung anzuvertrauen?
Nölle: Ziemlich genau. Der Weg zum ersten PRO RETINA-Stammtisch in Bonn für Menschen, die wie ich seltene Erkrankungen der Netzhaut haben, fiel mir nicht leicht. Ich habe das „erste Mal“ lange vor mir hergeschoben und dann noch zur Sicherheit eine Freundin mitgenommen. Das Eis war aber schon nach der total netten Vorstellungsrunde gebrochen. Schnell wurde mir klar, dass ich nicht die einzige war mit meinen Alltagsproblemen. Von da an habe ich den monatlichen Stammtisch regelmäßig besucht. Es gibt dort immer spannende Begegnungen. Heute weiß ich, dass ich mir viel erspart hätte, wenn ich PRO RETINA früher kennenglernt hätte.
Wann wagten Sie den zweiten Schritt, auch für andere aktiv zu werden?
Nölle: Lange dachte ich, dass ich ausschließlich selbst auf Hilfe von anderen angewiesen bin. Wie könnte ich da anderen helfen? Eine Idee davon bekam ich jedoch, als ich die wöchentliche PRO RETINA Sprechstunde an der Bonner Augenklinik kennenlernte. Diese Beratung von Betroffenen für Betroffene setzt dort an, wo ärztliche Hilfe ihre Grenzen hat: bei Fragen der Krankheitsbewältigung, des Alltags, der Familie oder des Berufs. Es schöpft aus persönlichen Erfahrungen und macht Mut. Hier in Bonn begann PRO RETINA mit ihrem besonderen Beratungsangebot auf Augenhöhe an Augenkliniken und Augenzentren vor 15 Jahren, mittlerweile gibt es fast zehn PRO RETINA Sprechstunden bundesweit. Ich erfuhr, wie sehr das Personal der Bonner Augenklinik dieses von ihren Patienten selbst organisierte zusätzliche Angebot schätzt und fing Feuer. Bei dieser guten Sache, wollte ich gern mitmachen, nicht zuletzt auch deshalb, weil es mir die Chance bot, an meinen beruflichen Erfahrungen aus der Sprechstundenarbeit anzuknüpfen.
Brauchten Sie eine zusätzliche Ausbildung dafür?
Nölle: Nein, aber ich habe Seminare besucht, die zur Beratung anderer befähigten und hospitierte bei Sprechstunden, bis ich sicher war, selbst in die wöchentliche Beratung zu gehen und mache mich schlau in dem ständig wachsenden Netzwerk von PRO RETINA; in dem man immer einen richtigen Kontakt findet, wenn man selbst nicht die Antwort auf eine Frage weiß.
Wie hat sich ihr Leben durch diese Arbeit verändert?
Nölle: Heute empfinde ich diese ehrenamtliche Arbeit als Win-Win-Situation. Ich merke, wie ich immer mehr in diese Arbeit hineinwachse und neue Aufgaben mutiger angehe, auch, wenn meine Erkrankung weiter voranschreitet. Wir sind ein tolles ehrenamtliches Team, sowohl in der PRO RETINA Sprechstunde an der Uniklinik Bonn, als auch in der Regionalgruppe Bonn. Wir bieten hier vor Ort Betroffenen eine Menge an Unterstützung und stellen gemeinsam viel auf die Beine. Mich hat das selbstsicherer gemacht. Als aktives Mitglied von PRO RETINA bleibe ich auf dem Laufenden über das, was alles von der Organisation bewegt wird. Mit meinem Zutun, mit dem, was ich mache, bin ich Teil von der Idee, so dringend für uns benötigte Forschung, voranzutreiben. Seit über fünf Jahren erlebe ich auf die Weise, wie viel sich inzwischen medizinisch für uns getan hat. Das macht mir auch für meine Zukunft Mut. Unsere Arbeit wird mit Supervision begleitet, um besonders knifflige Situationen meistern zu können. Die verpasse ich nie. Vieles an Erkenntnissen kann ich auch in meinem eigenen Alltag gut gebrauchen.
Was hält Ihre Lust auf ehrenamtliches Engagement frisch?
Nölle: Auf jeden Fall ein Umfeld, in dem alle gut finden, was ich mache. Mein Mann und meine beiden Söhne, stehen voll hinter mir und unterstützen mein Engagement. Wichtig ist es aber auch, die eigenen Grenzen zu stecken, nur die Kraft und Zeit zu investieren, die man wirklich will und kann. Die Wochenenden gehören weiter meiner Familie.
Gut sind immer wieder die richtigen Anregungen und Begegnungen in der Gemeinschaft von PRO RETINA. Ganz besonders sind aber die Erlebnisse in der Beratung selbst immer wieder Motivation, weiterzumachen. Was kann es Schöneres geben, als die Rückmeldung, dass sich durch einen Tipp oder Hinweis etwas an der Lebenssituation anderer verbessert hat? Die Einladung zum Kaffee, das Küsschen auf die Wange als Dankeschön machen mich auch stolz. Man kann zwar niemanden sagen, dass das Augenlicht wiederkommt, aber man kann mit der Überzeugung der eigenen Erfahrung aufmuntern. Denn ich weiß selbst, dass es nicht so schwer sein muss, wie man sich es allein vorstellt. Wenn man die richtige Unterstützung bekommt, um sich neu im Leben zu arrangieren.