Kurzarbeitergeld in der Arztpraxis im Zeichen von Corona
Wirtschaftlichen Folgen von Covid-19 treffen immer stärker auch die Praxen niedergelassener Ärzte.
von RA, FA für ArbeitsR und MedizinR Dr. Tilman Clausen, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de
Seit der ersten Märzwoche gibt es kaum noch ein anderes Thema als die Coronavirus-Pandemie. Neben den gesundheitlichen Aspekten stehen wirtschaftliche Folgen durch eine virusbedingte Rezession und der Verlust von Arbeitsplätzen im Vordergrund der Diskussion. Die wirtschaftlichen Folgen von Corona treffen immer stärker auch die Praxen niedergelassener Ärzte, weil die Patienten ihre Arztbesuche unter den aktuellen Umständen auf ein Minimum reduzieren. Eine Entwicklung, die derzeit auch in augenärztlichen Praxen zu beobachten ist.
Bei der Masse der Praxisinhaber, bei denen die Patienten in großer Zahl nicht mehr kommen, stellt sich die Frage, wie hierauf reagiert werden kann.
Kündigungen
Ein Weg kann die Kündigung von Personal sein. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Praxen,
· die i. d. R. zehn oder weniger Mitarbeiter beschäftigen (Auszubildende zählen nicht mit) und solchen,
· die i. d. R. mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigen.
Im ersten Fall findet § 23 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) keine Anwendung, d. h., die Kündigung ist unter erleichterten Voraussetzungen möglich, es müssen im Wesentlichen nur die arbeitsvertraglich vereinbarten Kündigungsfristen beachtet werden. Im zweiten Fall sind zudem die Voraussetzungen des KSchG zu beachten. In beiden Fällen gilt allerdings: Eine sofortige Senkung der Personalkosten wird dadurch nicht erreicht und Mitarbeiterinnen, die man gekündigt hat, kommen so schnell nicht wieder.
Kurzarbeitergeld
Demgegenüber steht die Möglichkeit einer Soforthilfe, wenn die Praxisinhaber für ihre Mitarbeiterinnen Kurzarbeitergeld beantragen. Um bestehende Arbeitsplätze möglichst zu erhalten, hat der Gesetzgeber am 13.03.2020 das „Gesetz zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld“ beschlossen, das rückwirkend zum 01.03.2020 in Kraft getreten ist. Durch dieses Gesetz werden die Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld wesentlich erleichtert. Die Neufassung des für den Bezug von Kurzarbeitergeld maßgeblichen § 109 SGB III lockert (derzeit bis zum 31.12.2021 befristet) die bisherigen Voraussetzungen. Gefordert war und ist ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall. Davon ist auszugehen, wenn der Ausfall auf
· wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht,
· vorübergehend und unvermeidbar ist sowie
· (neu!) zehn Prozent der in dem Betrieb beschäftigen Arbeitnehmer vom Entgeltausfall betroffen sind.
· Außerdem ist auf den Einsatz negativer Arbeitszeitsalden zur Vermeidung von Kurzarbeit vollständig oder teilweise zu verzichten.
· Ferner kann eine vollständige oder teilweise Erstattung der von den Arbeitgebern allein zu tragenden Beiträgen zur Sozialversicherung der Arbeitnehmer, die Kurzarbeitergeld beziehen, eingeführt werden.
Vor der aktuellen Änderung musste mindestens ein Drittel der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als zehn Prozent betroffen sein. Und es durfte keine Möglichkeit bestehen, dass der Arbeitsausfall durch die Nutzung von im Betrieb zulässigen Arbeitszeitschwankungen ganz oder teilweise vermieden werden kann.
Arbeitsrechtliche Hürden ...
Der Arzt als Arbeitgeber kann allerdings nicht ohne Weiteres in seiner Praxis Kurzarbeit einführen, um von den erleichterten Möglichkeiten zum Bezug von Kurzarbeitergeld für sein Personal Gebrauch zu machen.
Die Anordnung von Kurzarbeit in einer Arztpraxis ist grundsätzlich nur dann möglich, wenn eine arbeitsvertragliche Regelung besteht, die dies gestattet. Hierzu müssen die Arbeitsverträge mit dem Praxispersonal so gefasst sein, dass der Arzt als Arbeitgeber berechtigt ist, nach Ablauf einer entsprechenden Frist Kurzarbeit anzuordnen. Eine wirksame Regelung im Arbeitsvertrag muss auch die Voraussetzungen nennen, bei deren Vorliegen der Arzt Kurzarbeit anordnen darf.
Merke: Erfahrungsgemäß enthält praktisch kaum einer der in Arztpraxen geschlossenen Arbeitsverträge eine solche Regelung, da niemand sich vorstellen konnte, dass dies einmal benötigt werden würde.
... und wie man sie überwindet
Vor diesem Hintergrund muss sich der Arzt, der Kurzarbeit anordnen will, anderweitig behelfen und mit seinem Personal entsprechende Zusatzvereinbarungen zum Arbeitsvertrag schließen, die ihn berechtigen, Kurzarbeit anzuordnen und Kurzarbeitergeld zu beantragen. Der Abschluss solcher Vereinbarungen hilft erst einmal unmittelbar, um die Voraussetzungen für die Anordnung von Kurzarbeit zu schaffen.
Nachdem derzeit völlig unklar ist, wie es mit der Coronakrise weitergeht, sind allerdings auch Szenarien denkbar, bei denen der Betrieb in der Arztpraxis nach einiger Zeit wieder „hochgefahren“ werden kann, um ihn dann später, wenn die Menge der Infizierten wieder steigen sollten, erneut „herunterzufahren“. Daher geht nach Meinung des Verfassers kein Weg daran vorbei, die Arbeitsverträge mit dem Praxispersonal zu ändern und auch die Anordnung von Kurzarbeit bei Vorliegen von bestimmten – in dieser Änderung zu definierenden – Voraussetzungen zu ermöglichen.
Kurzarbeitergeld beantragen
Der Antrag auf Kurzarbeitergeld, der bei der Bundesagentur für Arbeit zu stellen ist, muss begründet werden.
An erster Stelle der Begründung sollte auf das gesunkene Patientenaufkommen abgestellt werden. Es sollten die durchschnittlichen Patientenzahlen täglich „vor Corona“ und die durchschnittlichen Patientenzahlen täglich, nachdem die Corona-Epidemie in der ersten Märzhälfte zum überregionalen Ausbruch gekommen ist, verglichen werden, um die Anordnung von Kurzarbeit zu begründen. Bei der genauen Formulierung der Begründung kommt es ggf. darauf an, ob Kurzarbeit für das gesamte Praxispersonal angeordnet werden soll oder nur für einen Teil.
An zweiter Stelle kann grundsätzlich auch auf Sicherheitsaspekte abgestellt werden, d. h. darauf, dass nur noch eine begrenzte Zahl von Patienten gleichzeitig in die Praxis gelassen werden kann, damit diese Distanz wahren können und das Ansteckungsrisiko klein gehalten wird.
Jede Arztpraxis, die jetzt Anträge auf Kurzarbeitergeld stellt, muss sich darüber im Klaren sein, dass die Bundesagentur derzeit völlig überlastet ist. Gleichwohl sollte dies der Antragsstellung nicht entgegenstehen, um so den wirtschaftlichen Druck zumindest teilweise von der Praxis zu nehmen.
Und wenn die Praxis unter Quarantäne gestellt wird?
Arztpraxen, in denen sich Ärzte oder Mitarbeiter infiziert haben, müssen aufgrund der Regelung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) geschlossen werden. In diesem Fall gibt es für den Ausfall von Umsatz eine Entschädigung über das IfSG. Für die ersten sechs Wochen in Höhe des Verdienstausfalls – dieser Zeitraum sollte nach den bisherigen Erfahrungen ausreichen. Kommt es zu einer Existenzgefährdung, werden auf Antrag auch Mehraufwendungen (z. B. weiterlaufende Betriebsausgaben) erstattet (§ 56 Abs. 4 IFSG).