Folgt nun die Triagierung in der Ophthalmologie?
In den vergangenen Monaten ist der Arbeitsbereich der Ärzte in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt, aber um welche Bereiche handelt es sich? Im Allgemeinen geht es um Intensivmediziner, Allgemeinmediziner und natürlich Virologen und Epidemiologen und das war gut und richtig.
In Krankenhäusern wurden Kapazitäten freigemacht und im niedergelassenen Bereich werden Patientenzahlen reduziert, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. In nie da gewesenem Ausmaß müssen Augenärzte ihren Beruf unter Bedingungen ausüben, die über alles hinausgehen, was jemals unter Pandemiebedingungen verfügt wurde, um sich an die Vorgaben der Politik, aufgrund der Rechtslage zu halten.
Das steht nicht in den Schlagzeilen. Elektiveingriff ist ein Wort, was nun fast jeder Bundesbürger kennt. Aber was das bedeutet, davon können Augenärzte und Patienten nun ein Lied singen. In Berlin habe ich eine Augenarztpraxis erlebt (während des Shutdowns) die bemüht ist, die nun auch inzwischen vom BVA angeratenen Hygienemaßnahmen umzusetzten: Abstand halten, nur wirklich notwendige Untersuchungen, keine Begleitpersonen. Es kam in dieser auch sonst schon überlasteten Praxis zu tumultartigen Zuständen.
Einen Termin bei einem Facharzt für Augenheilkunde zu bekommen ist schon in Vor-Corona-Zeiten in vielen Regionen Deutschlands nicht leicht gewesen. Unter den aktuellen Bedingungen wird es nun fast unmöglich, wenn man kein Notfall ist.
Doch nun ist die Überlastung der Krankenhäuser nicht eingetreten – wunderbar!
In den meisten Kliniken sind viele Betten frei. Dafür sind neue Probleme entstanden. Patienten trauen sich nicht, in die Praxis oder in das Krankenhaus zu gehen, in erster Linie aus Angst vor Ansteckung. Therapiebedürftige Patienten bleiben zu Hause und eigentlich beherrschbare Erkrankungen geraten außer Kontrolle. Jetzt sind erste Lockerungen im gesellschaftlichen Leben durch die Politik erfolgt. Auch in der Ophthalmologie bedeutet dies Lockerungen. Aber hat sich etwas geändert? Eigentlich nicht.
Die Empfehlungen des BVA lauten:
Tragen von Mund-Nase-Schutz und, wenn vorhanden, FFP2-Masken auch durch das Personal.
- Idealerweise sollten die Patienten mit Mund-Nasen-Schutz (MNS) kommen und diesen auch während der Behandlungen nicht ablegen. Bei der telefonischen Terminvereinbarung sollten die Patienten schon darauf hingewiesen werden. Wenn Sie genügend MNS-Masken haben, können Sie diesen den Patienten zur Verfügung stellen. Damit erhöhen Sie den Schutz Ihrer Mitarbeiter, weiterer Patienten und natürlich für sich selbst.
An wen kann man sich wenden, wenn kein Schutzmaterial zur Verfügung steht? Die Firma Omnivision konnte über einige Ärzte Masken aus Südkorea beschaffen. Das ist gut und lobenswert. Diese werden an niedergelassene BVA-Mitglieder ausgeliefert. Ansonsten stehen Bundes- und Landesregierungen hier in der Pflicht, heißt es beim BVA.
- Die Abstandsregelungen mit mindestens 1,5 m Abstand zwischen 2 Personen sollten weiter eingehalten werden, soweit dies möglich ist. Dazu muss vermieden werden, dass sich zu viele Patienten zur gleichen Zeit in den Praxisräumen aufhalten und in der Praxis separiert werden. Wann immer möglich, sollten Begleitpersonen der Patienten nicht in den Praxisräumen oder direkt vor der Praxistür warten. Ein Plexiglasschutz in der Anmeldung zwischen Personal und Patienten und an den Spaltlampen wäre sinnvoll.
Das klingt nach Wunschdenken. Welche Praxis hat Räumlichkeiten, die das ermöglichen? Anmeldung auf der Straße oder bei Sicherheitsbeamten – wie aktuell schon in vielen Kliniken?
Atemschutz an Spaltlampen haben inzwischen fast alle Praxen. Die Industrie hat sich schnell darauf eingestellt. Auch Selbstbauten sind möglich und freundliche Kollegen haben Ihre Ideen veröffentlicht und weitergegeben.
- Eine Händedesinfektion mit viruzider Wirkung sollte nach jeder Patientenberührung vom Arzt und seinem Personal erfolgen.
- Die Zeiten, die Patienten sich in der Praxis aufhalten, sollten so gering wie möglich gestaltet werden insbesondere für Patienten aus Risikogruppen. Dies kann auch bedeuten, dass aufschiebbare Untersuchungen wie z. B. eine Perimetrie bei stabil eingestellten Glaukompatienten oder die jährliche Cycloplegiekontrolle eines Schulkindes auf die nächste Untersuchung verschoben werden .
Wichtig ist, dass die Patienteneinbestellungen soweit reduziert und ggf. auf verlängerte Öffnungszeiten verteilt werden, dass die Abstandsregeln eingehalten werden können.
Versuchen Sie -sofern möglich- Angehörige von Risikogruppen getrennt von den übrigen Patienten zu behandeln. Wir wissen, dass dies angesichts des Durchschnittsalters unseres Patientenklientels nur schwierig -tlw. auch gar nicht- sicher durchführbar sein dürfte, versuchen sollten Sie es allerdings trotzdem.
Weisen Sie die Patienten darauf hin, in den Praxisräumen nicht unnötig umherzulaufen, nicht Alles anzufassen und auch die Abstandsregelungen zu anderen Patienten zu berücksichtigen. Desinfizieren Sie erforderliche Flächen regelmäßig und lüften Sie die Praxisräume immer wieder kurzfristig durch.
Außerdem sollten sinnvollerweise weiterhin keine Zeitschriften und Broschüren im Wartebereich ausliegen.
Sind das nicht alles völlig normale Hygienemaßnahmen in jeder Praxis? Ist das die Unterstützung des Berufsverbandes? Keine Zeitschriften in Wartezimmern? „Wir wissen, dass das nicht möglich ist, aber versuchen sie es trotzdem.“? Weiterhin heißt es in den BVA-Empfehlungen:
Patienten mit COVID-19-Infektion oder Verdacht darauf können nur mit entsprechend maximalem Hygieneaufwand, der in den meisten Praxen nicht darstellbar ist, untersucht werden, sodass hier, wenn irgendwie möglich eine telefonische Beratung erfolgen sollte. Sollten Sie in Ihrer Praxis nicht die Möglichkeit haben, diese Patienten zu betreuen, schließen Sie sich bitte regional mit Ihren augenärztlichen Kolleginnen und Kollegen kurz und stimmen sich ab, welche Praxis die Möglichkeiten hat, solche Patienten zu versorgen und besprechen Sie die Modalitäten wie man hier untereinander kollegial verfährt.
Hilfe zur Selbsthilfe ist hier die Empfehlung.
Es gibt dankenswerterweise einen 90% Schutzschirm für Leistungen aus EGV und EGV, aber das ist kein Verdienst des BVA, der DOG, des BDOC oder sonst einer Vereinigung. Das ist ein Zugeständnis der Politik ebenso wie die Unterstützung der Krankenhäuser. Regelungen für Ausfälle aus Privateinnahmen sind an keiner Stelle berücksichtigt. Es ist sehr bedauerlich, dass es in der Augenheilkunde keine gemeinsame Sprache gibt. Jeder arbeitet für seine Klientel: Der BVA für die niedergelassenen Konservativen, der BDOC für die Operateure und die DOG vertritt die Wissenschaft. Es gibt einen Katalog der DOG der die Operationen vorgibt, die aktuell durchgeführt werden dürfen. Gut und hilfreich am Anfang der Pandemie. Dennoch muss es erlaubt sein, die Frage zu stellen: Warum darf ein Arzt nicht unter Einhaltung selbstverständlicher Hygienemaßnahmen und unter Aufklärung aller Risiken (auch der zusätzlichen aktuellen) gemeinsam mit dem Patienten entscheiden, ob er operiert werden kann und möchte. Das ist doch seine ordinäre Aufgabe und das möchten die Ärzte auch tun. Die Kapazitäten wären vorhanden.
Zu dem Flickenteppich gehört auch, dass die Praxen völlig unterschiedlich reagieren. Es gibt Praxen die weitgehend „normal“ geöffnet sind, andere haben nur einen Notfallbetrieb mit wenigen Mitarbeitern oder Teams, wiederum andere haben ganz geschlossen. Dies wiederum führt in den geöffneten Praxen zu oben beschrieben Zuständen. Das ist ganz sicher nicht im Sinn der Pandemiebekämpfung.
Ist nicht jetzt die Zeit dafür einen gemeinsamen Weg zu finden? Heraus aus Kleinstaaterei der KVen, der Ärztekammern und Verbände, hin zu einer gemeinsamen Augenheilkunde, einem der großartigsten Fächer der Medizin? Die Augenheilkunde ist nach der Allgemeinmedizin und der Gynäkologie das Fach, welches von der Bevölkerung am meisten nachgefragt wird. Weil das Sehen so wichtig ist und das wird auch von der Bevölkerung und den Patienten so gesehen.
Das ist der Grund, warum es aktuell nicht nur um Geld und Hygiene-Organisation in den Kliniken und Praxen geht, sondern dass Ophthalmologen die Unterstützung von den Vereinen und Verbänden erwarten, die hilft so schnell wie möglich wieder wirkliche Augenheilkunde zu ermöglichen und nicht nur eine Notfallversorgung.
Das Deutschen Ärzteblatt zitiert die DAK Gesundheit nach der zufolge rund 25% weniger Versicherte der Krankenkasse mit einem Herzinfarkt in ein Krankenhaus eingeliefert worden als im März 2018 beziehungsweise 2019. Im März 2020 seien rund 800 ihrer Versicherten betroffen gewesen, teilte die DAK unter Berufung auf eine Sonderanalyse mit. Im März 2019 waren 1.100 Versicherte wegen eines Herzinfarkts in ein Krankenhaus gebracht worden – nach 1.200 im März 2018.
Gibt es auf einmal viel weniger Patienten mit Symptomen? Das denkt wohl niemand.
Unter den gelockerten Bedingungen und aktuellen Vorgaben können, je nach Klinik oder Praxisgröße geschätzt, ein Drittel, maximal zwei Drittel der Patienten versorgt werden. Bisher waren die Praxen und Kliniken der Augenheilkunde im Durchschnitt zu 100% ausgebucht. Das bedeutet es wird eine Welle an Fällen geben, bzw. diese Fälle sind jetzt schon vorhanden, welche man vor sich herschiebt. Soll nach der glücklicherweise nicht eingetretenen Triagierung in den Notaufnahmen nun die Triagierung in den Fachbereichen und damit in der Ophthalmologie Einzug halten?
Aktuell gibt es keine Zahlen oder Studien die darauf hindeuten, dass es nicht möglich ist, unter normalen hygienischen Standards eine augenärztliche Versorgung wieder aufzunehmen.
Dazu gehört Mut und Ehrlichkeit in einer leider aktuell wenig offenen wissenschaftlichen, aber auch berufspolitischen Debatte.