So umgehen Sie Haftungsfallen bei der Aufklärung

Leider stellt sich in der anwaltlichen Beratungspraxis immer wieder heraus, dass in der Ärzteschaft Fehlvorstellungen über den Einsatz von Aufklärungsformularen verbreitet sind. Die wenigsten Kliniken erstellen ihre Formulare dabei selbst, sondern greifen auf das Angebot professioneller Anbieter zurück. Unsicherheit besteht vielfach bei der Frage, ob allein ein unterzeichnetes Formular haftungsrechtliche Sicherheit bietet.

©Adobestock
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Formular unterstützt das Aufklärungsgespräch lediglich

Viele Ärzte gehen davon aus, auch ohne persönliches Aufklärungsgespräch mit einem vom Patienten unterzeichneten Aufklärungsbogen schon auf der absolut sicheren Seite zu stehen. Andersherum sehen manche Ärzte, die von Patienten aus Arzthaftungsgesichtspunkten in Anspruch genommen werden, einen Gerichtsprozess von vorneherein als aussichtslos an, nur weil sich kein entsprechendes Formular in der Patientendokumentation findet.

Tatsächlich kommt es für den Erfolg in einem Gerichtsprozess aber nicht darauf an, ob man Formulare verwendet, sondern wie man die Aufklärung der Patienten in ausnahmsloser Routine durchführt. Man muss sich dabei immer vor Augen halten, dass der Gesetzgeber nur ein mündliches Aufklärungsgespräch fordert. Gem. § 630 Abs. 2 Nr. 1 BGB kann im Gespräch ergänzend auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält. Daraus folgt, dass ein Aufklärungsformular das mündliche Aufklärungsgespräch gerne unterstützen, aber nie ersetzen darf.

Gem. § 630 Abs. 2 Nr. 1 BGB muss dieses Gespräch entweder vom behandelnden Arzt selbst oder einer Person geführt werden, die ebenfalls die Ausbildung zur Durchführung der betreffenden Maßnahme hat. Damit scheidet das nichtärztliche Personal zur Durchführung von Aufklärungsgesprächen ohne jede Ausnahme von vorneherein aus. Beim ärztlichen Personal ist sicherzustellen, dass die aufklärende Person ausreichend fachlich qualifiziert ist. Bei Assistenzärzten kommt es dabei auf den individuellen Weiterbildungsstand an.

Merke: Soweit Sie als Chefarzt die Aufklärung für einen Eingriff delegieren, den Sie hinterher selbst vornehmen, müssen Sie vor dessen Durchführung persönlich ‒ z. B. durch Befragung des Patienten oder Kontrolle der Patientenakte ‒ überprüfen, ob die Aufklärung auch weisungsgemäß durchgeführt wurde.

So umgehen Sie Haftungsfallen

Sie umgehen als Chefarzt Haftungsfallen, wenn Sie in Ihrer Abteilung das Ihnen unterstellte ärztliche Personal mit einer schriftlichen Verfahrensanweisung anhalten, jede Aufklärung ...

·         nach dem immer gleichen Schema

·         mündlich durchzuführen

·         und ‒ im Falle eines unterstützenden Einsatzes von Aufklärungsformularen ‒ auf den Patienten individualisierte, handschriftliche Ergänzungen vorzunehmen.

 

Diese sogenannte „ausnahmslose Aufklärungsroutine“, also die Erklärung, wie Aufklärungsgespräche immer ablaufen, bietet juristisch den einzigen Ausweg, wenn sich Ärzte in einem Haftungsprozess nicht an das konkrete Aufklärungsgespräch erinnern können. Letzteres dürfte die Regel sein, da von der Aufklärung bis zum Prozess oft Jahre vergehen.

Merke: Für den mit dem Haftungsfall befassten Richter wird die Behauptung, dass eine „ausnahmslose Aufklärungsroutine“ besteht umso glaubhafter, wenn eine entsprechende Verfahrensanweisung besteht.

Handschriftliche Einträge im Formular sind zudem ein starkes Indiz, dass tatsächlich ein persönliches Gespräch zwischen Arzt und Patient stattgefunden hat und dem Patienten nicht lediglich ein Formular zur Eigenlektüre überlassen wurde (vgl. BGH-Urteil v. 28.01.2014, Az. VI ZR 143/13; Details im CB 05/2014, Seite 9).

Aktuelles Urteil: Aufklärung über Eingriff an der HWS via LWS-Formular?

Wie entscheidend handschriftliche Einträge Einfluss auf den Ausgang eines Gerichtsprozess nehmen können, zeigt auch ein Fall, der vom Oberlandesgericht Braunschweig mit Urteil vom 10.12.2018 (Az. VI ZR 502/18) rechtskräftig entschieden wurde. Der dortige Kläger machte Schmerzensgeld und sonstige Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit einer Laminektomie gegen Klinik und behandelnde Ärzte geltend. Der Kläger litt unter einer Verengung des Rückenmarkkanals im Bereich der Halswirbelsäule, die in der beklagten Klinik operativ behoben werden sollte. Im Rahmen des Eingriffs kam es zu einer Schädigung des Rückenmarks mit der Folge einer Lähmung (Tetraparese). In der Patientenakte fand sich ein Aufklärungsbogen über eine Operation an der Lenden- statt der Halswirbelsäule. Der mitverklagte, aufklärende Arzt erinnerte sich nicht mehr an das Aufklärungsgespräch. Es fanden sich im Aufklärungsformular allerdings handschriftliche Einzeichnungen im Halsbereich an der abgebildeten Wirbelsäule. Der betreffende Arzt gab im Prozess an, im Rahmen der mündlichen Aufklärung im Formular immer am Bild der Wirbelsäule einzuzeichnen, wo der Zugang an der Wirbelsäule erfolgt. Das Gericht hielt es daher für abwegig, dass der Behandler wie vom Kläger vorgetragen über einen Eingriff an der Lendenwirbelsäule aufgeklärt haben könnte, wenn korrekt lokalisierte handschriftliche Einzeichnungen an der Halswirbelsäule vorliegen. Zudem bestätigte der gerichtliche Sachverständige, dass sich die Eingriffe an Hals- und Lendenwirbelsäule bezüglich des Vorgehens mit Entfernung von Wirbelbögen und Durchführung einer Stabilisierung sowie Einbringung eines Schraubensystems ähneln. Entsprechend ging man trotz Verwendung eines Lendenwirbelaufklärungsbogens von einer korrekten Aufklärung des Klägers über einen Halswirbelsäuleneingriff aus. Für das eingriffsimmanente Risiko der intraoperativen Schädigung des Rückenmarks konnten die Beklagten entsprechend nicht haftbar gemacht werden.

von RA, FA MedR Dr. Christina Thissen, Münster, kanzlei-am-aerztehaus.de