Leben in Zeiten der Pandemie – je ärmer desto verwundbarer
Seit März diesen Jahres erleben wir in Deutschland Einschnitte in unsere gewohnten Lebensrhythmen, wie wir sie niemals für möglich gehalten haben: unser gesamter Alltag, unsere Arbeitswelt, die Schule, unsere Freizeitgestaltung – alles musste meist radikalen Änderungen unterworfen werden.
Dinge, die wir als völlig selbstverständlich angesehen haben, wie unsere grenzenlose Mobilität oder auch nur der Besuch des Spielplatzes vor der Haustür oder die spontane herzliche Umarmung zur Begrüßung von guten Freunden waren plötzlich Risikozone, verbotenes Terrain. Diese erzwungenen Anpassungen an eine allgegenwärtige aber für viele meist unsichtbare Bedrohung durch Corvid-19 ist vielen Menschen nicht leicht gefallen, und wir werden sicherlich noch lange die Folgen in verschiedensten Bereichen spüren. Dennoch - schon allein im europäischen Vergleich werden die meisten gemerkt haben, dass wir in Deutschland verhältnismässig gut geschützt sind, durch ein gut organisiertes Gesundheitssystem, und durch Politiker, die im Angesicht der Krise mehrheitlich besonnen und verantwortungsbewusst handeln. Wir haben eine Regierung, die schnell umfangreiche Maßnahmen beschliesst, um die allerschlimmsten Auswirkungen des ökonomischen Shutdowns abzumildern – wenn man den Blick auf andere Industrienationen wie die USA lenkt, kann man leicht eine Vorstellung davon bekommen, wie es auch hätte kommen können.
Von Bangladesch hat man in den deutschen Medien während der letzten Monate erstaunlich wenig gehört. Erwartungsgemäß hätten im dicht besiedeltsten Land der Welt die Infektionszahlen in die Höhe schnellen müssen, und aufgrund des schlechten Gesundheitssystems die Todesrate ebenso. Taten sie aber nicht. Weil es keine hohen Infektionsraten gab? Die Regierung Bangladeschs verbreitete den populären Mythos, es handele sich bei Corona um „eine Krankheit für reiche Leute“. Zu Beginn der Pandemie gab es im ganzen Land genau ein Testzentrum. Zwischen März und Ende Juli wurden landesweit insgesamt etwas über eine Million Corona-Tests durchgeführt (im Vgl.: Deutschland führt mittlerweile pro Woche eine Million Tests durch). Vielleicht sind die lange Zeit sehr geringen Fallzahlen ja eher der geringen Testkapazität geschuldet. Und der Tatsache, dass die arme Bevölkerungsschicht schon zu normalen Zeiten keinen Zugang zu medizinscher Versorgung hat. Laut lokalen Zeitungsberichten (etwa im Daily Star) hat das medizinische Personal, das selbst nur über unzureichende Schutzausrüstung verfügte, Patienten mit Verdacht auf Covid-19 abgewiesen. Zu groß war die Angst, sich anzustecken.
MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen blickten sorgenvoll auf die Slums in den grossen städtischen Zentren, wo tausende dicht an dicht unter prekären hygienschen Bedingungen leben. Keine Fälle. Auch im größten Slum Dhakas, dem Korail, nicht. Offiziell. Eine lokale Gesundheitsberaterin, die die Familien in den Slums betreut, berichtet, wie sie zu Beginn der Pandemie eine Liste erstellen wollte, auf der sie notierte, in welchen Familien es Familienmitglieder mit Fieber gab, um deren Behandlung und Versorgung zu koordinieren. Kurze Zeit später wurde sie in ihrem Büro von den Familien bedrängt, die Namen wieder von der Liste zu streichen. Die Menschen hatten Angst, dass wenn sie nur unter dem Verdacht stehen, jemand in der Familien könnte an Corona erkrankt sein, sie von ihren unmittelbaren Nachbarn aus dem Slum vertrieben würden, - aus Angst vor Ansteckung. Also gibt es in den Slums keine Corona-Fälle.
Was es aber mit Sicherheit gibt, ist ein Heer von Arbeitslosen. Und auch hier trifft es die Armen zuerst. Die ersten, die ihre Jobs verloren, waren die zehntausenden armen Frauen und jungen Mädchen, die in den Haushalten der Bessergestellten als Hausangestellte arbeiten. Oft müssen sie in mehreren Haushalten arbeiten, um wenigstens 30 € monatlich zu verdienen. Dieses Gehalt sichert ihren Familien das Überleben, wenn die oft auf Tagelohnbasis arbeitenden Männer keine Anstellung finden. Und da es auch in Bangladesch relativ schnell einen Lockdown gab, waren plötzlich Millionen von Familien ohne Einkommen. Arbeitsmigranten vom Dorf, die normalerweise monatelang auf den Baustellen in den Städten arbeiten, wurden von heute auf Morgen nach Hause geschickt. Als der Regierung mit Verspätung klar wurde, welches Elend diese überstürzte Entscheidung auslöste, versprach sie Nahrungsmittelpakete für die betroffenen Familien. Doch bei den Allermeisten kam von diesem Versprechen nichts an. Die Gründe dafür liegen in der allgegenwärtigen Korruption und dem Fehlen von funktionierenden organisatorischen Strukturen.
Aber es sind nicht nur die Tagelöhner, die von der Pandemie im Kern ihrer Existenz getroffen wurden. Hundertausende Arbeitskräfte in den Textilfabriken wurden aufgrund stornierter Aufträge über Nacht entlassen, tausende Arbeitsmigranten kehren aus den Golfstaaten zurück, große staatliche Betriebe entlassen zehntausende Arbeiter. Kurzarbeitergeld oder Abfindungen gibt es in Bangladesch nicht, die meisten sind froh, wenn sie ihren ausstehenden Lohn noch bezahlt bekommen. Führende Wirtschaftswissenschaftler schätzen, dass in Bangladesch nun etwa 50% der Haushalte (80 Millionen Menschen) so gut wie kein Einkommen mehr haben, und zum Überleben eine monatliche Zahlung von wenigstens 25 € bräuchten.
MATI hat den Ernst der Lage sehr schnell gesehen und das ärztliche Personal seiner Ambulanz mit entsprechender Schutzausrüstung versorgt. Die MitarbeiterInnen haben in den Frauengruppen verstärkt Hygienetrainings abgehalten. In den Nähausbildungen wurden Masken für den lokalen Bedarf hergestellt. Wir haben intensiv Spenden eingeworben, um Nahrungsmittelnothilfepakete an die hungernden Familien in unseren Projektregionen zu verteilen: mit 25 € können wir eine Familie einen Monat lang mit dem Nötigsten versorgen. Aber wir denken auch an die Zukunft: die Familien brauchen nun zusätzliche Einnahmequellen, die nicht von Lohnarbeit abhängig sind. Daher helfen wir mit Start-up Finanzierungen für kleine Geschäfte, Landkultivierung oder zur Anschaffung von Nutztieren. Hier werden etwa 200 € pro Familie gebraucht.
Mati verteilt Essensrationen während des Lockdowns kleines Geschäft von MATI Mitgliedern
Autorin : Frau Andrea Rahaman
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