Junge Ärzte treffen auf alte Strukturen ‒ chefärztliches Umdenken ist der Königsweg (Teil 3 - 4)
Die junge Generation der Ärzte setzt in den Krankenhäusern gerade eine Revolution in Gang. Sie kommen nicht laut daher, sondern verändern das Krankenhaus still und schleichend. Dieser Wandel ist grundlegend, nachhaltig und unumkehrbar. Es entsteht gerade eine neue Berufskultur des Arztes.
von Prof. Dr. med. Wolfgang Kölfen, Chefarzt der Städtischen Kliniken Mönchengladbach
Im ersten Beitrag der Reihe haben wir bereits den Chefarzt „alter Schule“ Professor L. kennengelernt, im zweiten Teil sah er sich mit dem neuen Selbstbewusstsein der heutigen Assistenzärzte konfrontiert. Das alles ist nicht spurlos an ihm vorübergegangen!
Nachdenklichkeit und Beginn der Neuorientierung
Wenige Wochen nach dem ersten Gedankenaustausch, kommt es zu einem zweiten Gespräch zwischen Professor L. und Professor D.. Zunächst sprechen sie über den Geschäftsführer.
Professor L.: „Früher habe ich da drüben beim Geschäftsführer angerufen und ihm gesagt, was ich umgehend benötige, um gute Medizin für die Patienten zu machen. Dann gab es kein Wenn und Aber, oder auch der Satz ‚Da müssen wir erst mal noch genauere Berechnungen machen‘ tauchte nicht auf. Die haben einfach gemacht, was ich gesagt habe, und die Sache war in Ordnung. Heute muss man ja für jeden Bleistift einen Antrag stellen. Wir benötigen akut auf der Intensivstation neue CPAP-Anschlüsse und ich habe brav einen Antrag gestellt. Wissen Sie, was der Geschäftsführer mir geantwortet hat? Er schreibt mir, wenn ich von der Dringlichkeit so überzeugt wäre, solle ich die CPAP-Anschlüsse doch von meinem privaten Geld vorfinanzieren. Er habe zurzeit keine Investitionsmittel mehr zur Verfügung.“
Professor D.: „Also bevor wir jetzt anfangen, dieses riesige Thema Verwaltung und deren Sinnhaftigkeit zu besprechen, möchte ich noch einmal auf Ihr Bewerbungsgespräch zurückkommen. Darüber habe ich noch einmal nachgedacht. In den Krankenhäusern bewerben sich heutzutage frisch approbierte Ärzte mit einem Lebensalter von 24 bis 26 Jahren. 80 Prozent dieser frisch approbierten Ärzte sind Frauen. Sie bewerben sich auf die vielen offenen Stellen, die wir ‒ je nach Fachabteilung ‒ nicht besetzen können. Wir stellen dann diese jungen Ärzte ein, und plötzlich stellen die fest, wie wenig attraktiv dieser Arbeitsplatz im Krankenhaus für sie ist. Die Kliniken sind weiterhin streng hierarchisch strukturiert. Sie bieten eine schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie können vereinbarte Freizeiten nicht immer garantieren. Die Arbeitszeiten, die wir anbieten müssen, sind für die jungen Ärzte nicht attraktiv.“
„Werden diese jungen Ärzte dann gefragt, was sie sich im Krankenhaus wünschen, so ergeben sich in der Regel immer dieselben Forderungen. Sie sagen dann: Wir wollen uns am Arbeitsplatz selbst verwirklichen. Wir wollen, dass uns die Arbeit Spaß macht, und unser gesamtes Wohlbefinden darf bei der Arbeit nicht leiden. Zusätzlich fragen sie sich, ob es zielführend für sie ist, bei Chefärzten zu arbeiten, die noch führen, wie sie selber einmal geführt wurden. Aus den genannten Gründen wollen die Kollegen hospitieren, um ein wenig die Stimmung im Team, aber auch unser Führungsverhalten zu erfassen. So einfach ist die Erklärung. Wir Chefärzte sind auf dem Prüfstand der jungen Kollegen.“
„Ich hatte neulich ein interessantes Gespräch mit einem Facharzt. Ich habe gefragt: Was wünschen Sie sich von mir als ihrem Chef? Daraufhin hat er geantwortet: Zunächst einmal finde ich es toll, dass Sie diese Frage überhaupt stellen. Ihr Vorgänger hat hier jahrelang überhaupt keine Fragen gestellt, sondern immer nur seine Lösungen präsentiert.“
Während Professor D. erzählt, bemerkt er, wie sein Kollege immer stiller wird.
Professor D.: „Wir jüngeren Ärzte haben uns da nie richtig wohlgefühlt, was dazu geführt hat, dass es hier in der Abteilung zu einer hohen Fluktuation von Ärzten gekommen ist. Es ist ja nicht so, wie Ihr Vorgänger das dargestellt hat, dass wir nicht arbeiten wollen. Wir wünschen uns mehr Aufmerksamkeit, mehr Wertschätzung und mehr Fürsorge. Wir sind aufgewachsen in einem Dschungel der vielfältigen Optionen und haben gelernt, möglichst lange zu warten, bevor wir eine Entscheidung treffen. Für uns ist Multikulti ganz normal, und wir sind die erste Generation, die vom Kleinkindalter bis heute mit Computern, Tablets, Smartphones, Google, Apple, Facebook und Twitter aufgewachsen ist. Das Lesen von Büchern und Zeitungen war gestern, wir ziehen unsere relevanten Informationen aus dem Netz. Wir brauchen ständiges Lob und ein konstantes Feedback mit der Chance, ständig Bonuspunkte zu sammeln, wie in einem guten Computerspiel.“
Professor L.: „Huh, das sind ja stramme Wünsche. Neulich hatte ich eine Situation, da bin ich ja fast geplatzt. Ich hatte meine Sekretärin gebeten, bei einer Kollegin, die auf der neonatologischen Intensivstation arbeitet, die neuesten Zahlen für unsere Neonatologie aus dem Qualitätsbericht der Ärztekammer zu besorgen. Weil die Kollegin im Freizeitausgleich war, schrieb meine Sekretärin ihr eine E-Mail mit folgendem Inhalt: ‚Der Chef sucht dringend die neuesten Zahlen zu unserer Neonatologie. Bitte ganz schnell raussuchen, ausdrucken und mailen. Vielen Dank für Deine Mühe.‘ Am nächsten Tag hatte meine Sekretärin dann folgende Antwort: ‚Liebe Jana, bin heute nicht dazu gekommen, die Zahlen rauszusuchen. Tut mir fürchterlich leid. Ganz liebe Grüße‘.“
„Ich fand das ungeheuerlich. Als ich die Kollegin dann darauf angesprochen habe, war sie geknickt und meinte, wo denn mein Problem wäre, schließlich hätte sie doch sofort geantwortet. Außerdem müsste ich doch als ihr Chef wissen, dass sie zurzeit arbeitstechnisch so viele andere Dinge zu erledigen habe. Ihr Lösungsvorschlag wäre, dass sie mir die Zahlen in einigen Tagen gibt, oder dass ich sie mir selber raussuche, wenn es so dringend sei.“
Professor D.: „Wir müssen den Blickwinkel der jungen Ärzte einnehmen. Diese sogenannte Generation Y hat hohe Erwartungen an ihren potenziellen Arbeitgeber. Ihre Vorstellung ist, dass sie einen Dialog auf Augenhöhe mit ihren Vorgesetzten führen können. Zusätzlich erwarten die jungen Ärzte von uns, dass wir ihnen eine hohe Transparenz von Informationen bieten. Wichtig ist auch eine individuelle Förderung, damit sie eine möglichst gute Ausbildung in den Kliniken bekommen. Zusätzlich sollen die Chefs es noch schaffen, ihnen Anerkennung und Unterstützung zu gewähren. Der alte Satz Nicht geschimpft, ist genug gelobt ist somit in der heutigen Zeit völlig obsolet.“
Professor L.: „Ja aber, Herr Kollege, finden Sie denn nicht, dass diese Forderungen völlig überzogen sind? Wir älteren Kollegen haben doch ganz andere Erfahrungen. Wir sind aufgewachsen in einer Zeit mit Krisen ohne Ende. Wir hatten enorme Schwierigkeiten, eine Stelle im Krankenhaus zu finden. Teilweise haben wir zunächst als Gastarzt oder Hospitant voll gearbeitet in der Hoffnung, irgendwann einmal in ein festes Arbeitsverhältnis reinzurutschen. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, wo auf meinem Chefschreibtisch hunderte von Bewerbungsmappen lagen, obwohl ich nicht eine einzige Assistenzarztstelle zu vergeben hatte. Müssen denn die jungen Leute sich nicht auch an uns anpassen? Oder ist das ausschließlich Aufgabe der älteren Generation?“
Professor D.: „Aus Ihrem Blickwinkel haben Sie natürlich Recht, allerdings gibt es ein großes Problem. Wenn Sie die gesamte Arbeit in Ihrer Klinik nicht alleine machen wollen, brauchen Sie ständig neue ärztliche Kollegen. Diese ärztlichen Kollegen bekommen wir aber nur, wenn wir uns auf die neuen Gegebenheiten einlassen, einen neuen Kommunikationsstil pflegen und uns ständig einer Selbstreflexion unterwerfen.“
Professor L.: „Sie meinen also, ich muss mich total umstellen und den jungen Ärzten nach dem Mund reden?“
Professor D.: „Naja, so würde ich es nicht sagen. Ich erinnere mich an einen alten Indianerspruch, den ich in meiner Jugend in irgendeinem Buch gelesen habe. Dort stand: Laufe eine Weile in den Mokassins deines Feindes. Erst dann wirst du verstehen, wie du mit diesen Menschen umgehen solltest.“
Das Gespräch mit dem jüngeren Chefarztkollegen Herrn D. ließ Professor L. in den folgenden Tagen nicht mehr los. Was hatte er eigentlich bisher verstanden, fragte er sich. Klar geworden ist ihm, dass die jungen Ärzte ihre Karriere neu definieren. Zusätzlich haben sie den Wunsch, mehr Freizeit für sich und ihre Familie zu haben. Wie das umgesetzt werden soll, ist ihm aber schleierhaft.