Junge Ärzte treffen auf alte Strukturen ‒ chefärztliches Umdenken ist der Königsweg (Teil 4 - 4)
Die junge Generation der Ärzte setzt in den Krankenhäusern gerade eine Revolution in Gang. Sie kommen nicht laut daher, sondern verändern das Krankenhaus still und schleichend. Dieser Wandel ist grundlegend, nachhaltig und unumkehrbar. Es entsteht gerade eine neue Berufskultur des Arztes.
von Prof. Dr. med. Wolfgang Kölfen, Chefarzt in den Städtischen Kliniken Mönchengladbach
Die junge Generation der Ärzte setzt in den Krankenhäusern gerade eine Revolution in Gang. Dieser Wandel ist grundlegend, nachhaltig und unumkehrbar. Es entsteht gerade eine neue Berufskultur des Arztes. Im im ersten Beitrag der Reihe haben wir den Chefarzt „alter Schule“ Professor L. kennengelernt, im zweiten Teil sah er sich mit dem neuen Selbstbewusstsein der heutigen Assistenzärzte konfrontiert. Im dritten Teil gab ihm sein Kollege Professor D. so einiges zum Nachdenken mit auf den Weg ‒ und das sollte noch nicht alles sein.
Neue Erkenntnisse ‒ Führung auf dem Prüfstand
Am Wochenende ist Professor L. zu einem Kongress gefahren. Das Thema lautet: „Wie führe ich meine ärztlichen Mitarbeiter in der heutigen Zeit?“ Vor einigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass er zu einem solchen Kongress fährt, hatte seine Frau ihm am Morgen zugerufen. Die Referenten berichten zunächst über die Studienausbildung der jungen Ärzte. Sie weisen daraufhin, dass das gesamte Medizinstudium inzwischen sehr verschult ist, sehr viel theoretisches Wissen erlernt werden muss. Die Fähigkeit selbständig zu arbeiten, eigene Entscheidungen zu treffen, und auch Verantwortung für medizinische Sachentscheidungen zu übernehmen, würde kaum vermittelt.
Neu für Professor L. ist auch die Information, dass 60 Prozent der Ärzte Teilzeit arbeiten möchten, ggf. noch ein weiteres Studium oder/und ein Sabbatical anstreben.
Auf die Frage, was die jungen Ärzte sich von ihrem zukünftigen Arbeitgeber wünschen, wurden folgende Zahlen präsentiert: 64 Prozent der jungen Ärzte gaben an, für sie seien eine kollegiale Arbeitsatmosphäre, die Akzeptanz von Work-Life-Balance (60 Prozent) und eine gute Förderung (50 Prozent) die entscheidenden Faktoren, um sich für eine Klinik zu entscheiden.
Innerhalb seines Teams spricht Professor L. am nächsten Tag folgendes Thema an: „Welche Bedeutung haben Geldanreize für Ihre Arbeit? Würden Sie auf Geld für die Nachtdienste verzichten, wenn Sie mehr Freizeit bekommen würden?“
Die anschließende Diskussion entwickelt sich zunächst sehr zögerlich. Nach einer Weile bittet Professor L. um eine Abstimmung. Alle Assistenten stimmen für mehr Freizeit. Oberärzte hingegen wünschen sich, ihre Hintergrunddienste weiter bezahlt zu bekommen.
Das staunende Lernen geht weiter und es ergeben sich neue Erkenntnisse
Professor L. erzählt beim nächsten Treffen mit Professor D. Folgendes
Professor L.: „Naja, das Thema Führung durch Chefärzte, aber auch das Führungsverhalten von Oberärzten, ist für mich sehr relevant geworden. Was ich bisher verstanden habe, ist, dass die Rezepte von gestern für die Zukunft wenig tauglich sind. Meine Frage ist jetzt mehr: Was erwarten die jungen Kollegen von uns als ihren Chefs?“
Professor D.: „Nicht ganz einfach, eine Antwort zu finden und sie im Alltag umzusetzen. Ich denke, wir müssen uns besser vorbereiten auf das, was auf uns zukommt. Wir müssen den jungen Ärzten ein persönliches, individuelles Coaching anbieten. Unsere Hinweise, dass früher alles besser war und wir viel mehr gearbeitet haben, will keiner mehr hören.“
Professor L.: „Aber was mache ich denn, wenn die älteren Oberärzte mir glatt sagen, dass sie nicht bereit sind, bei den Assistenzärzten ein Programm zur Kinder- und Jugenderziehung durchzuführen? Medizinische Defizite würden sie versuchen auszugleichen, aber für Motivation und Eigenleistung seien sie nicht zuständig. Neulich meinte ein Oberarzt ‚Die jungen Kollegen sollen mich nicht endlos nerven, die spinnen doch total. Wie können Sie nur solche Leute einstellen‘?“
Professor D.: „Da fällt mir gerade folgendes ein. Ich fand das toll, was ein jüngerer Kollege neulich zu einem meiner Oberärzte gesagt hat. Er sagte: Ihr Älteren könnt uns doch dankbar sein, denn eigentlich wollt ihr auch anders arbeiten. Ihr wünscht euch doch auch mehr Flexibilität und Freiräume, sehnt euch nach regelmäßigem Feedback und klaren Perspektiven in dieser Klinik. Wir kämpfen also nicht nur für unsere Generation, sondern wir kämpfen auch für Euch ältere Kollegen. Ihr konntet diesen Kampf damals nicht gewinnen. Unser Nein heute mit den neuen Spielregeln werden aber die Kliniken akzeptieren müssen, weil wir jungen Ärzte Mangelware sind. Was ihr nicht geschafft habt, werden wir nun still und leise in den Kliniken durchsetzen. Praktischerseits sieht das bei uns so aus, dass ich inzwischen mehrere Oberärzte habe, die auch Teilzeit arbeiten möchten.“
Professor L.: „Okay, lassen wir das jetzt einfach mal so stehen und überlegen gemeinsam, was wir denn verbessern können. Könnte denn vielleicht der Hinweis helfen, dass wir gemeinsam mit unserer Arbeit eine wichtige und ausfüllende ärztliche Mission haben? Es wird doch niemand von uns gezwungen, diese interessante ärztliche Tätigkeit durchzuführen. Wir haben uns unseren Beruf alle freiwillig ausgesucht. Unsere ärztliche Tätigkeit bietet uns die Chance der eigenen Selbstverwirklichung, was ja nicht in allen Berufen möglich ist.“
Professor D.: „Ich glaube, es würde schon helfen, wenn wir den jüngeren Ärzten ihre Karriereplanung selber überlassen würden. Wir sollten nicht mit dem ausgezogenen Zeigefinger unterwegs sein und sie mit Schuldzuweisungen konfrontieren. Ich habe meine Vorgehensweise etwas umgestellt. Grundsätzlich verteile ich nur noch kleine, in sich geschlossene Päckchen von Aufgaben. Weiterhin achte ich auf sehr viel Transparenz und Gerechtigkeit, wenn neue Aufgaben zu verteilen sind. Helfen kann auch der Hinweis, dass diese Aufgaben nur auf Zeit vergeben werden. Ich muss als Chef wesentlich geduldiger sein und kann nicht erwarten, dass meine Ideen einfach von der Arztgruppe unkommentiert umgesetzt werden.
Professor L.: „Ja, aber wie lösen Sie denn ein einfaches aber ständig auftretendes Problem? Wenn zum Beispiel krankheitsbedingt die Dienste am Wochenende neu zu verteilen sind?“
Professor D.: „Naja, das ist natürlich ein kritisches Problemfeld. Zumindest kann ich von ihnen nicht einfach erwarten, dass einer sein freies Wochenende aufgibt, nur weil ein anderer krank geworden ist. Ich als Chef der Klinik repräsentiere den Arbeitgeber, ich kann nachvollziehen, warum das akut aufgetretene Problem der Klinik nicht zu seinem persönlichen Problem werden soll.
Professor L.: „Was soll das bedeuten?“
Professor D.: „Das bedeutet nichts anderes, als dass es nicht selbstverständlich ist, dass ein Kollege einfach für einen kranken Kollegen einspringt. Ich kann das als Chef nur noch bedingt erwarten und somit auch nicht mehr ohne Weiteres anordnen, ohne das Risiko persönlicher Verletzungen. Ich als Chef habe die Aufgabe, Bonuspunkte für den Einspringenden zu besorgen und zu verteilen. Das kann bedeuten, dass eine materielle oder ideelle Belohnung fällig wird. Ich glaube, je strukturierter und verbindlicher unsere Angebote sind, und je klarer wir sie kommunizieren, desto größer wird die Chance, die jungen Ärzte zu erreichen. Hiermit erzielen wir Bindung, Motivation und Akzeptanz im Team. Dazu ist es natürlich notwendig, dass Oberärzte und vor allen Dingen Chefärzte ihren Kommunikationsstil grundsätzlich überarbeiten. Die wichtigste Forderung der jungen Ärzte an die Chefärzte ist: zeigen Sie Offenheit, Toleranz, Transparenz und Gerechtigkeit.“
Professor L.: „Hier möchte ich aber noch einmal nachfragen, Herr Kollege. Wie erzeugen Sie denn nun das von den jungen Kollegen so gewünschte freundliche Arbeitsklima?“
Professor D.: (schmunzelt) „Naja, auch hier gibt es natürlich kein Patentrezept. Allerdings habe ich gute Erfahrungen gemacht mit sogenannten Spontanfeedbacks. Keine großen angesetzten Termine, sondern kleine verbale Aufmerksamkeiten können schon helfen. Die Droge der Anerkennung für eine geleistete Arbeit, die Unterstützung bei einem bestimmten Projekt oder die gemeinsame Karriereplanung sind wichtige Turbos für ein gedeihliches Arbeitsklima. Belobigungen, die nur einmal im Jahr im sogenannten Mitarbeitergespräch stattfinden, reichen nicht aus, sondern es sind die ständigen kleinen Aufmerksamkeiten, die zielführend sind.“
Professor L.: „Meinen Sie, es könnte auch zu positiven Effekten kommen, wenn wir als Chefs nicht mehr so viel von oben herab anordnen, sondern eher um Hilfestellungen bitten?“
Professor D.: „Ja, das glaube ich. Ich fordere permanent Verbesserungsvorschläge ein, lasse sie mir dann genau erklären und begleite dann die jüngeren Kollegen in der kleinschrittigen Umsetzung.“
Professor L.: „Und wenn das dann nicht klappt, weil niemand sich bewegt, oder niemand Zeit hat? Was machen Sie denn dann?“
Professor D.: „In dem Falle frage ich mich zunächst, ob ich das Projekt im Vorfeld ausreichend gut kommuniziert habe. Vielleicht gelingt es durch die Neuformulierung, neue Chancen und Wege darzustellen, um die Mitarbeiter auf diesem Weg zu motivieren. Ich rege mich auch nicht über die permanenten Störereignisse hier auf. Für mich gilt der Satz: Die neue Stabilität des Systems ist die Instabilität. Ich differenziere heute viel mehr zwischen fachlichem und menschlichem Führen. Meine feste Überzeugung ist es, dass die persönliche Wertschätzung der wichtigste Attraktivitätsfaktor ist, um Mitarbeiter ins Haus zu holen und sie hier zu binden.“
Professor L.: „Ich schaue gerade auf meine Uhr und stelle fest, dass es schon 19:00 Uhr ist. Ich habe meiner Frau fest versprochen, heute um diese Zeit zum gemeinsamen Abendessen zu Hause zu sein. Das wird bestimmt eine enorme Überraschung für sie sein, wenn ich pünktlich bin. Als Erstes wird sie mich wahrscheinlich fragen, ob etwas Schlimmes passiert ist.“
Professor D.: „Mein Eindruck ist immer mehr, dass die älteren Kollegen, die in die Selbstreflexion mit sich selber gehen, sehr schnell begreifen, dass es an ihnen liegt, sich auf die neuen Zeiten einzulassen. Es ist es nützlich, ein Bündnis mit den jungen Kollegen einzugehen, weil sich daraus die Chance entwickelt, sich selber rasch und nachhaltig weiterzuentwickeln. Bei Ihnen, Herr Kollege, merke ich jetzt schon die Wirkung der Droge Neue Wertevorstellung der Ärzte. Alle Achtung! Wenn das so weitergeht, werden Sie wahrscheinlich bald die Geschäftsführung um ein für Sie persönliches Sabbatical bitten, um Ihre persönliche Mitte zu finden!“
Professor L.: (mit einem kleinen Augenzwinkern) „Naja, ganz soweit bin ich wohl doch noch nicht. Aber Freude würde mir so ein Sabbatical schon machen. Warten wir ab, was die nahe Zukunft bringen wird!“