Urteil: Kein Haftungsanspruch nach Keiminfektion
Weil es absolute Keimfreiheit in Krankenhäusern nicht gibt, kann für Keimübertragungen, die sich aus nicht beherrschbaren Gründen und trotz Einhaltung der gebotenen hygienischen Vorkehrungen ereignen, keine Entschädigung verlangt werden. An den Vortrag eines Patienten, der glaubt, Opfer von Hygienedefiziten geworden zu sein, sind hohe Anforderungen zu stellen, so ein Urteil des Landgerichts Flensburg.
Der Fall
Bei einem mit dem MRSE-Keim infizierten Patienten wurde eine Wirbelkörperentzündung diagnostiziert. Nach der Behandlung in verschiedenen Krankenhäusern klagte der Patient auf Schmerzensgeldzahlung in Höhe von mindestens 30.000 Euro. Zudem begehrte er den Ersatz krankheitsbedingter Aufwendungen und eines Haushaltsführungsschadens sowie von Lohnausfall.
Die Entscheidung
Das Gericht konnte allerdings keine fehlerhafte Behandlung des Klägers feststellen und wies die Klage ab. Mutmaßungen eines Patienten, er habe sich in einer Klinik „wahrscheinlich“ mit einem Keim infiziert, seien zur Darlegung der Unterschreitung ärztlicher Standards nicht ausreichend: Das Auftreten einer Infektion allein stelle keinen Anhaltspunkt für einen Hygienemangel dar. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens setze einen konkreten Anhaltspunkt dafür voraus, dass es im Rahmen der Behandlung zu einem Hygienemangel in einem hygienisch beherrschbaren Bereich gekommen ist, der die eingetretene Infektion hätte verursachen können (Landgericht [LG] Flensburg, Urteil vom 08.09.2020, Az. 3 O 375/14).
War ein „voll beherrschbarer Risikobereich“ betroffen?
Auch eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast für den Patienten könne nur angenommen werden, wenn feststehe, dass die Infektion aus einem hygienisch beherrschbaren Bereich hervorgegangen ist. Dass im konkreten Fall überhaupt ein voll beherrschbarer Risikobereich betroffen sei, habe der Patient darzulegen und zu beweisen. Sollte der Kläger den MRSE-Keim über eine Mitpatientin erlangt haben, würde allein dieser Umstand noch keine Haftung der Beklagten begründen. Das Krankenhauspersonal und die verwendeten Gerätschaften seien integraler Bestandteil des Klinikbetriebs, die dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Klinikleitung unterstehen. (Mit-)Patienten dagegen könnten nicht dem (voll zu beherrschenden) Gefahrenkreis des Krankenhausträgers zugerechnet werden.
Merke: Das Gericht sah im Übrigen auch keinen Auskunftsanspruch des Patienten dahingehend, ob andere Patienten auf „seiner“ Station an MRSA oder MRSE oder einem nicht identifizierten „Krankenhausvirus“ erkrankten ‒ und falls ja, welche Maßnahmen dagegen ergriffen wurden und ob das zuständige Gesundheitsamt informiert wurde. Ein solcher Anspruch folge weder aus dem Behandlungsvertrag noch aus dem Gesetz.
RA Tim Hesse, Kanzlei am Ärztehaus, Münster/Dortmund