„Die Chancen der MIGS-Verfahren werden noch nicht ausreichend genutzt“ – PD Dr. Florian Rüfer über den iStent®
Durch seine langjährige Oberarzttätigkeit an der Universität in Kiel und als Glaukomspezialist im Augenzentrum.ONE in Kiel verfügt PD Dr. Rüfer über eine weitreichende Expertise auf dem Gebiet des Glaukoms und der Netzhautchirurgie. Er war einer der Referenten des MIGS Symposium 2021, wo er einen Vortrag zum Thema Trabekuläre Microbypass Stents hielt. EYEFOX hat Dr. Rüfer zu seinen Erfahrungen mit dem iStent® interviewt.
Dr. Rüfer, wie funktionieren iStents®?
IStents® sind im Prinzip winzige Röhrchen aus Titan, die ca. 0,3 mm lang sind und vorne eine Art Pfeilspitze zum Verankern haben. Sie werden im Kammerwinkel ins Trabekelmaschenwerk implantiert, um den trabekulären Abflusswiderstand zu verringern. Dadurch wird der natürliche Abflussweg des Kammerwassers wieder verbessert.
Seit wann arbeiten Sie mit iStents®?
Ich habe 2015 angefangen, iStents® zu implantieren – also kurz nachdem sie in Deutschland auf den Markt gekommen sind. In den USA waren sie bereits vorher in der Erprobung.
Es gibt ja mittlerweile drei Generationen dieser Stents – den iStent®, den iStent® inject und den iStent® inject W. Worin unterscheiden sie sich?
Die erste Generation hat noch ein komplett anderes Design. Die Stents ähneln kleinen Haken, die man seitwärts ins Trabekelmaschenwerk implantiert muss, was ein gewisses manuelles Geschick erfordert. Bei den beiden neueren Generationen handelt es sich um kleine Röhrchen, die geradeaus aus einem Applikator "herausgeschossen" werden. Ihr Design ist dabei relativ ähnlich. Die zweite Generation hat manchmal das Problem, dass der Stent zu tief ins Gewebe eindringen kann und dann von der Membran überwachsen wird. Um dies zu verhindern, wurde bei der dritten Generation die Basisplatte ein bisschen vergrößert. Diese minimale Veränderung am Design hat dazu geführt, dass man die Stents präziser positionieren kann.
Wie unterscheiden sie sich in ihrer Wirksamkeit?
Bisher ist nur bekannt, dass die zweite Generation im Mittel eine bessere Drucksenkung macht als die erste. Für die dritte Generation gibt es noch nicht genug Daten. Der Erfolg scheint aber vor allem von der optimalen Position im Gewebe abzuhängen. Insofern erwarte ich auch für die dritte Generation noch einmal etwas mehr Drucksenkung.
Für welche Patienten sind iStents® besonders geeignet?
Für alle Patienten, bei denen man das Risiko einer größeren Operation vermeiden möchte. Man kann dieses MIGS-Verfahren auch gut mit einer Katarakt-Operation kombinieren – zumindest im ambulanten Rahmen. Eine anatomische Voraussetzung ist natürlich, dass ein offener Kammerwinkel vorliegt. Das muss man vorher genau durch eine Gonioskopie prüfen, um dadurch sicherstellen, dass dieses Verfahren geeignet ist.
Es ist ein breites Spektrum von Patienten, bei denen iStents® implantiert werden können, etwa Patienten mit Primärem Offenwinkelglaukom, Pigmentdispersionsglaukom oder Pseudoexfoliativem Glaukom. Dabei ist es unerheblich, ob sie noch ihre natürliche Linse oder bereits eine Kunstlinse im Auge haben. Es sollten allerdings keine Patienten sein, die eine so extrem hohe Druckentgleisung haben, dass eine Stent-Implantation nicht ausreichend effektiv wäre. Am besten sind diese Stents für geringgradige bis moderate Glaukome geeignet.
Mit welchen Drucksenkungen kann man nach einer Implantation rechnen? Und hängt die Wirksamkeit auch mit der Anzahl der implantierten Stents zusammen?
Im Mittel kann ca. mit 3 mmHg Drucksenkung gerechnet werden. Oder anders gerechnet: Ca. 80% der Patienten haben eine Drucksenkung um mindestens 20%. Für die iStents® der ersten Generation konnte gezeigt werden, dass bei 3 iStents® eine besser Chance als bei 2 oder einem Stent erreicht werden kann. Das ist mit den beiden neueren Generationen wahrscheinlich ähnlich.
Wie hoch ist der Prozentsatz der Patienten, die nach der Implantation auf drucksenkende Augentropfen verzichten können?
Von meinen eigenen Patienten muss etwa die Hälfte nach 4-6 Wochen gar keine Tropfen mehr nehmen. Auch bei den meisten anderen Patienten kann zumindest die Anzahl der Wirkstoffe zur Drucksenkung vermindert werden. Es hängt natürlich sehr von der Ausgangssituation ab, wie viele Wirkstoffe vorher benötigt wurden.
Wie sieht es mit den Langzeitresultaten aus?
Dazu ist die Datenlage leider noch immer relativ dünn. Es gibt Fünfjahresergebnisse und wenn man auf den Kongressen schaut - was dann aber noch nicht international publiziert worden ist - auch Siebenjahresergebnisse. Sie zeigen, dass die Stents in diesen Zeiträumen bei vielen Patienten noch immer funktionieren. Nach meinen eigenen Erfahrungen gibt es allerdings schon den einen oder anderen Patienten, bei dem nach den ersten zwei, drei, vier Jahren allmählich ein Wirkverlust eintritt. Dann besteht aber die Möglichkeit, ein weiteres Mal minimalinvasiv vorzugehen und in dieser wirklich sehr kurzen Prozedur die Stents erneut zu implantieren.
Woraus resultiert dieser Wirkverlust? Verstopfen die Stents im Laufe der Zeit?
Ich glaube nicht, dass es sich um eine direkte Verlegung der Stents handelt. Es liegt eher daran, dass die Spitze des Stents im Gewebe eine Fremdkörperreaktion hervorruft. Es tritt wahrscheinlich eine Fibrosierung ein und dann kann irgendwann kein Kammerwasser mehr aus der Spitze des Stents abfließen.
Welche Komplikationen können auftreten?
Schwere Komplikationen sind extrem selten. In den ersten Tagen können leichte Blutungen in die Vorderkammer auftreten, die aber in den meisten Fällen harmlos sind und wieder resorbiert werden. Dadurch können manche Patienten anfangs ein bisschen verschleiert sehen. Wir beobachten auch Tensioschwankungen und dass in den ersten Tagen vorübergehend zu hohe Werte gemessen werden. Manchmal treten leichte Entzündungen auf oder Lichtempfindlichkeiten. Aber schwerwiegende Komplikationen, wie man sie etwa von Katarakt-Operationen oder der Netzhautchirurgie kennt, kommen so gut wie nie vor.
Stichwort postoperatives Management. Was ist hier zu beachten?
Wenn man nur Stents implantiert und dies nicht mit einer anderen Operation kombiniert, reicht es, wenn man für eine Woche antibiotische Augentropfen gibt. Sollten die Druckwerte noch nicht ausreichend gut sein, werden die Stents flexibel mit drucksenkenden Augentropfen kombiniert. Man muss sich die Patienten nach einer Woche ansehen und dann abhängig von der Drucksituation alle eins, zwei, bei gutem Befund auch vier Wochen eine Kontrolle machen. Eine Gonioskopie, um sich die Situation noch einmal genau anzuschauen, macht zu diesem Zeitpunkt noch keinen Sinn. Der wesentliche Parameter ist, dass man schaut, ob alles reizfrei ist und ob der Augendruck passt.
Gibt es Aspekte beim Thema MIGS bzw. iStent®, von denen Sie denken, dass sie noch zu wenig im Bewusstsein sind?
Ich glaube, vielen ist noch nicht bewusst, wie wenig invasiv und wie wenig belastend das Verfahren für die Patienten wirklich ist. Wir wissen aus der Netzhauttherapie, bei Patienten mit Diabetes oder AMD, dass es hier unproblematisch ist, einmal im Monat eine Intravitreale Injektion zu geben. Verglichen damit sind iStent®-Implantationen kaum wesentlich aufwendiger. Hier wird einmal eine 1,5 mm Parazentese gemacht. Im Umgang mit der Technik geübte Ärzte kommen bei einer Stent-Implantation in einer reinen Operationszeit von unter 5 Minuten aus. Vorher erfolgt natürlich noch eine Betäubung. Insgesamt ist der Aufwand wirklich extrem gering. Viele denken immer noch, es würde sich hier um eine große Operation handeln. Aber das ist wirklich nicht so. Und das Risiko, das man eingeht, ist ebenfalls extrem gering. Ich denke, dass die Chancen, die sich durch die MIGS Verfahren ergeben, noch nicht ausreichend genutzt werden.
Interview Achim Drucks/EYEFOX Redaktion