Aktuelle Therapieoptionen bei endokriner Orbitopathie: Neue Behandlungen in Sicht
Das Wissen über die endokrine Orbitopathie, die Risikofaktoren für ihre Entwicklung und ihr Fortschreiten hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erweitert. Neue Behandlungsmöglichkeiten bieten die Aussicht, dass sich die Krankheit besser in den Griff bekommen lässt. Doch die Behandlung schwerer Krankheitsformen bleibt eine Herausforderung. Prof. Dr. Anja Eckstein fasst den aktuellen Stand zusammen.
Autoantikörper gegen das Schilddrüsen-Hormon TSH
Bei dieser Autoimmunerkrankung bildet der Körper Antikörper gegen die Rezeptoren für das Hormon TSH, das maßgeblich das Schilddrüsenwachstum beeinflusst. Diese Rezeptoren finden sich auch in der Augenhöhle. Deshalb tritt die endokrine Orbitopathie (EO) besonders häufig zusammen mit dem Morbus Basedow auf, der zu einer Schilddrüsenüberfunktion führt. Seltener wird die EO bei einer Hashimoto-Thyreoiditis, einer chronischen Entzündung der Schilddrüse oder gänzlich ohne eine Erkrankung der Schilddrüse beobachtet. In der Orbita führt die Erkrankung zur Bildung von Fettgewebe sowie zu einem Anschwellen der Augenmuskeln und des Bindegewebes.
Symptome
Die Entzündung verursacht Schmerzen und ein Druckgefühl hinter den Augen. Auch Augenbewegungen sind schmerzhaft. In Lidern und Bindehaut finden sich Flüssigkeitseinlagerungen (Ödeme) und sie sind gerötet. Der Augapfel kann hervortreten (Exophthalmus), dadurch wird der Lidschluss erschwert bis unmöglich, so dass die Hornhaut nicht mehr benetzt wird und Hornhautgeschwüre (Ulzera) entstehen können. Die Beweglichkeit der Augen und des Lidhebermuskels wird durch die Krankheit eingeschränkt. Starrer Blick und Doppelbilder (Diplopie) sind die Folge. Die Gewebe-Zunahme in der Augenhöhle kann schließlich auch auf den Sehnerv Druck ausüben, so dass Gesichtsfeldausfälle entstehen, die Sehschärfe und das Farbensehen werden beeinträchtigt bis hin zur Gefahr der Erblindung.
Aktivität und Schweregrad der Krankheit beobachten
Schwere Formen der EO treten selten auf. Wenn eine Schilddrüsenüberfunktion bei Morbus Basedow diagnostiziert wird, findet sich bei drei Vierteln der Betroffenen noch kein Hinweis auf eine Beteiligung der Augen. Doch bei einem Teil der Patienten entwickelt sich die Augenkrankheit erst im weiteren Verlauf (ca 15%). Für die individuelle Therapie ist es wesentlich, das Stadium und die Aktivität der Erkrankung zu beurteilen. Von einer milden EO ist die Rede, wenn die Lidretraktion höchstens zwei Millimeter beträgt, der Exophthalmus nicht mehr als drei Millimeter und wenn die Augenbeweglichkeit nur schwach beeinträchtigt ist. Das Allgemeinbefinden ist in diesen milden Fällen nicht stark beeinträchtigt. Ein moderates Stadium ist durch eine Lidretraktion von mehr als zwei Millimetern gekennzeichnet, eine stärkere Beteiligung des Weichteilgewebes, einen Exophthalmus von mehr als drei Millimetern und eine deutliche Einschränkung der Augenbeweglichkeit. Eine das Sehvermögen bedrohende EO liegt vor, wenn der Sehnerv komprimiert wird und/oder es durch den fehlenden Lidschluss zu Hornhautschäden kommt.
Die Krankheitsaktivität lässt sich an subjektiven Parametern wie Schmerzen und Druckgefühl hinter den Augen ablesen und an objektiven Entzündungszeichen wie Schwellungen und Rötungen der Lider, der Bindehaut und der Karunkel (ein knötchenförmiges Gebilde im nasenseitigen Lidwinkel). Auch die Zunahme des Exophthalmus, die Abnahme der Augenbeweglichkeit und eine Abnahme der Sehschärfe deuten auf eine Aktivität der EO hin.
Wie wird eine aktive EO behandelt?
Die Therapie der EO ist eine Herausforderung und erfolgt häufig in spezialisierten Zentren. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Augenärzten mit Kollegen anderer Disziplinen wie Allgemeinärzten und Endokrinologen spielt dabei eine große Rolle. Wichtig ist es, die Entzündungsaktivität möglichst früh und wirksam zu unterbinden. Rauchen, hohe Anti TSH Rezeptor Autoantikörperspiegel und eine schlecht eingestellte Schilddrüsenfunktion steigern das Risiko für das Fortschreiten der EO. Deshalb steht der dringende Rat, auf Nikotin zu verzichten und die sorgfältige Kontrolle der Schilddrüsenfunktion vor allem am Beginn der Therapie. In einem frühen Stadium einer aktiven EO genügt dann häufig die Gabe von Selen, um die Entzündung zu mildern.
Bei einer moderaten bis schweren EO ist eine Behandlung mit Steroiden (intravenös) angezeigt. Hinzu kommt, wenn die Augenbeweglichkeit eingeschränkt ist, die Orbitaspitzenbestrahlung. Bisher gibt es für die Therapie der EO über Steroide hinaus keine Zulassung für Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken. Wenn Patienten innerhalb der ersten sechs Wochen nicht auf eine Therapie mit Steroiden ansprechen, kann aber eine stärkere immunsuppressive Behandlung erwogen werden. Hier kommen verschiedene Wirkstoffe in Frage, zum Beispiel Mycophenolat-Mofetil (MMF), Rituximab, Azathioprin und Tocolizumab. Dafür muss ein Kostenübernahmeantrag für eine so genannte off label Therapie bei der Krankenkasse gestellt werden.
Hinzu kommen unterstützende Behandlungen: Benetzungsstörungen der Hornhaut können mit Tränenersatzmitteln gelindert werden, Lymphdrainage und die Behandlung mit Botulinumtoxin kann eingesetzt werden. Beim Auftreten von Doppelbildern können Prismenbrillen verordnet werden.
Drei bis sechs Prozent der Patienten entwickeln trotz maximaler entzündungshemmender Therapie eine das Sehvermögen bedrohende EO mit einer Kompression des Sehnervs. Die entzündliche Schwellung, die Bildung von Fettgewebe und das Anschwellen der Muskeln verringern die Durchblutung des Sehnervs. Diese schweren Fälle werden mit hochdosierten intravenösen Steroidgaben (drei Mal ein Gramm pro Woche über zwei Wochen) behandelt. Hilft dies nicht ausreichend muss eine Entlastungs-Operation an der Augenhöhle erfolgen (Orbitadekompression). Sie kann als Notfallmaßnahme bei einer Quetschung des Sehnervs oder bei Hornhautulzera und Lagophthalmus notwendig werden.
Neue Therapiemöglichkeiten
Sowohl Steroide als auch Immunsuppressiva können zwar die Entzündungsaktivität bremsen, eine Vollheilung ist aber selten. Meist persistieren Lidschwellung durch Fettablagerung, Exophthalmus und eingeschränkte Augenbeweglichkeit. Neue Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung haben das Verständnis der krankhaften Vorgänge bei der EO aber erweitert. Zwischen dem TSH-Rezeptor und dem IGF-1-Rezeptor kommt es zu Wechselwirkungen durch die Bindung der TSHR-Auto Antikörper. Diese Erkenntnis führte zur Entwicklung neuer Therapieansätze: EO-Patienten werden mit Anti IGF-1-Rezeptor-Antikörpern behandelt (Teprotumumab). In klinischen Studien der Phase II und Phase III zeigte sich, dass diese Behandlung nicht nur die Aktivität der EO stoppt, sondern dass sie auch die Augenbeweglichkeit bessert und den Exophthalmus verringert. Dadurch ging die Wahrnehmung von Doppelbildern zurück. Die Lebensqualität der Studienteilnehmer besserte sich entsprechend signifikant. Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat Teprotumumab im Januar 2020 zugelassen. Die Zulassung in Europa wird erwartet.
Ein weiterer neuer Ansatz beruht auf der allmählichen Gewöhnung des Immunsystems an den TSHR ähnlich einer Hyposensibilisierung bei Allergien. In einer Phase I-Studie mit 10 Patienten, die an Morbus Basedow erkrankt waren, ließ sich auf diese Weise die Schilddrüsenfunktion bei zwei Dritteln der Patienten bessern. Ein Effekt auf die EO kann auch hier erwartet werden.
Behandlung der inaktiven EO
Bei Patienten ohne aktive Entzündung und einer über sechs Monate stabilen Schilddrüsenfunktion können die Folgen der EO operativ behandelt werden. Mehrere Eingriffe sind oft notwendig: Zunächst erfolgt die knöcherne Orbitadekompression mit Entfernung des orbitalen Fettgewebes. Der zweite Schritt sind Augenmuskeloperationen, zudem sind oft als letzter Schritt lidchirurgische Eingriffe notwendig. Dadurch lässt sich die Lebensqualität der Patienten erheblich steigern.
Fazit
Die endokrine Orbitopathie belastet die betroffenen Patienten schwer. Die Behandlung richtet sich nach der Schwere und der Aktivität der Erkrankung. Aktuell ist die intravenöse Behandlung mit Steroiden die Therapie der Wahl. Wenn die Patienten darauf nach sechs Wochen nicht ansprechen, kommen immunsuppressive Medikamente zum Einsatz. Mit Steroiden und Immunsuppressiva lässt sich zwar die Entzündung stoppen, bereits eingetretene Folgen lassen sich damit aber nicht vollständig rückgängig machen. Deshalb werden in der inaktiven Phase der Therapie operative Eingriffe notwendig. Neue Behandlungsmöglichkeiten der EO, insbesondere die Therapie mit Teprotumumab lassen darauf hoffen, dass der Bedarf für solche schweren Eingriffe in Zukunft sinken wird und dass sich die Lebensqualität der Patienten bessern wird.
Prof. Dr. Anja Eckstein
Oberärztin (Strabologie, Neuroophthalmologie, okuloplastisch rekonstruktive Chirurgie), Klinik für Augenheilkunde, Essen
Quelle: Berufsverband der Augenärzte Deutschlands. e.V.