Doppelbilder nach Katarakt-Operation
Das Auftreten von Doppelbildern nach einer sonst unkompliziert verlaufenden Katarakt-Operation mit Linsenimplantation ist eine äußerst seltene, jedoch für die Patienten außerordentlich belastende Komplikation. Die Berliner Charité führte dazu 1999 eine Studie durch. Dr. Annabelle Eckert berichtet, was sich seitdem auf diesem Themenfeld getan hat.
Doppelbilder nach Katarakt-Operationen mit Linsenimplantation können monokular oder binokular auftreten. Einer monokularen Diplopie kann eine Affektion des Hornhautepithels, eine kontralaterale Katarakt, eine Dezentrierung der Hinterkammerlinse, eine unkorrigierte Ametropie sowie eine Polykorie zugrunde liegen. Eine binokulare Diplopie kann transient oder persistent sein. Eine transiente binokulare Diplopie kann sich, wie der Name schon sagt, innerhalb weniger Tage oder Wochen spontan zurückbilden.1,2
Verschiedene Faktoren können zum Auftreten von Doppelbildern nach Katarakt-Operation beitragen bzw. diese verursachen. Hierzu zählen u.a. die myotoxischen Effekte von Lokalanästhetika, Paresen der extraokulären Muskeln, vorbestehende Erkrankungen wie z.B. eine Schilddrüsenorbitopathie sowie optische Aberrationen. Eine längere sensorische Deprivation kann in einer gestörten postoperativen Fusion der Augen resultieren und so eine binokulare Diplopie hervorrufen. Eine präzise – im besten Fall bereits präoperative – Diagnostik und Einteilung der Diplopie nach Schielmuster ist essentiell für die Behandlung der betroffenen Personen.1
Doppelbilder nach Katarakt-Operation an der Universitäts-Augenklinik Charité in den 90ern
Bereits vor über 20 Jahren wurde eine wissenschaftliche Studie zu genau dieser Thematik veröffentlicht. Im Jahr 1999 hat die Forschungsgruppe der Universitäts-Augenklinik Charité in Berlin bei insgesamt 24 adulten Patientinnen und Patienten das Auftreten von Doppelbildern nach einer Katarakt-Operation mit Linsenimplantation untersucht. Das Altersmedian lag bei 70,6 Jahren. Die Patienten unterschieden sich hinsichtlich ihrer Schielform sowie der Ausprägung und des zeitlichen Auftretens der Doppelbilder. In die Analyse miteinbezogen wurden anamnestische Daten sowie Informationen zur Binokularfunktion, zum Schielwinkel und zur Augenmotilität. Anhand bestimmter diagnostischer Kriterien wurden sie in 3 Gruppen unterteilt. Der ersten Gruppe wurden Patienten zugeteilt, die direkt am ersten Tag nach Katarakt-Operation durch Doppelbilder symptomatisch geworden waren. In dieser Gruppe lag bei den Patienten ein Strabismus incomitans mit Vertikaldeviation vor. Das mediane Alter dieser Gruppe betrug 82 Jahre.
Pathogenetisch relevant schienen hier die Myotoxizität des Lokalanästhetikums sowie die Muskelverletzung durch die Injektionsnadel gewesen zu sein. Als weiterer erschwerender Faktor kam in dieser höheren Altersgruppe eine erhöhte Vulnerabilität aufgrund von Multimorbidität hinzu. Bei den im Median mit 66 Jahren etwas jüngeren Patientinnen und Patienten der zweiten Gruppe kam es in den ersten postoperativen Tagen zum Auftreten von Doppelbildern. Diagnostiziert werden konnten abhängig vom betroffenen Patienten eine Exotropie, eine Esotropie, eine dekompensierte Heterophorie und eine intermittierende Exotropie. Hier wurde die Hypothese aufgestellt, dass eine bereits präoperative Störung des Binokularsehens durch die Okklusionsfunktion der Katarakt asymptomatisch geblieben sein könnte. Der postoperative Visusgewinn nach Katarakt-Operation könnte die Dekompensation bedingt haben. Die Patienten der dritten Gruppe waren im Median 67 Jahre alt. Ein Strabismus concomitans war hier bereits präoperativ diagnostiziert worden. Die Patienten der dritten Gruppe berichteten von einer subjektiven Zunahme des bereits bekannten Strabismus nach Katarakt-Operation.3
Doppelbilder nach Katarakt-Operation und nach LASIK
Kammi B. Gunton und Blair Armstrong vom ,,Department of Pediatric Ophthalmology, Wills Eye Institute and Jefferson Medical College, USA“ haben rund 10 Jahre später ein Review zur Diplopieinzidenz nach Katarakt-Operation mit Linsenimplantation sowie nach LASIK (laser in-situ keratomileusis) publiziert. Zu diesem Zeitpunkt sah man eine Restriktion und eine Parese der extraokulären Muskeln als Hauptgründe für eine Diplopie nach Retrobulbäranästhesie an. Im Fall einer Lokalanästhesie wurde die Diplopie nach Katarakt-Operation oder nach LASIK auf eine Dekompensation eines bereits präoperativ bestehenden Strabismus zurückgeführt.
Die Inzidenz einer Augenfehlstellung nach Katarakt-Operation mit Retrobulbäranästhesie lag bei rund 7%. 0,23% bis 0,98% dieser Augenfehlstellung gingen mit einer Diplopie einher. Die Durchführung einer Katarakt-Operation mit topischer Anästhesie hingegen ging mit einer geringeren Inzidenz von Augenfehlstellungen einher. Sie lag bei 5%. Kammi B. Gunton und Blair Armstrong kamen zu dem Schluss, dass folgende Mechanismen für die Entwicklung einer Diplopie nach Katarakt-Operation pathogenetisch relevant sein könnten: Eine Dekompensation eines präoperativ bereits bekannten Strabismus, ein Neuauftreten einer akkomodativen Esotropie, ein zeitgleiches Auftreten einer systemischen Erkrankung, eine zentrale Fusionsunterbrechung sowie eine monokulare Diplopie.4
Doppelbilder nach Katarakt-Operation an der Charité im Jahr 2021
Erst kürzlich – fast 22 Jahre nach der letzten Publikation aus der Charité zu dem Thema ,,Doppelbilder nach Katarakt-Operation“ – wurde eine retrospektive Studie publiziert, die sich mit unterschiedlichen Schielmuster nach Katarakt-Operation auseinandergesetzt hat. Analysiert wurden die Risikofaktoren und die Behandlungsergebnisse dieser postoperativen Schielmuster. Insgesamt wurden 40 Patientinnen und Patienten in diese Studie miteingeschlossen. Bei 28 dieser Patienten traten die Doppelbilder nach Katarakt-Operation des linken Auges auf. Ein Strabismus verticalis lag bei 92,5% der Patienten vor. Der Hauptrisikofaktor für das Auftreten einer postoperativen Diplopie -mit ebenfalls 92,5%- war die Retro- bzw. Peribulbäranästhesie gewesen. Die Patienten wurden anhand ihres bestimmten okulären Dysmotilitätsmusters bei Vorliegen eines Strabismus verticalis in 4 Gruppen unterteilt (siehe Tabelle 1). Der Forschungsgruppe fiel auf, dass es nach Katarakt-Operation des rechten Auges in den meisten Fällen (mit 67%) zu einem Typ 2 des okulären Dysmotilitätsmusters bei Strabismus verticalis kam. Bei Katarakt-Operation des linken Auges hingegen überwog (mit 83,3%) der Typ 1a des okulären Dysmotilitätsmusters bei Strabismus verticalis.5
Typ 1a | Hebungsdefizit mit einem Senkungsüberschuss |
Typ 1b | Hebungsdefizit ohne einen Senkungsüberschuss |
Typ 2 | Senkungsdefizit |
Typ 3 | regelrechte Augenmotilität |
Tabelle 1: Dargestellt ist die Einteilung der verschiedenen okulären Dysmotilitätsmuster bei Strabismus verticalis.5
Bei 3 der 40 Patienten trat ein Strabismus horizontalis auf. Pathogenetisch relevant hierfür könnte eine dekompensierte Heterophorie oder auch eine Konvergenzschwäche gewesen sein. Die Ätiologie des postoperativen Strabismus mit binokularer Diplopie gestaltete sich komplex, da hier sowohl restriktive, als auch paretische Faktoren eine Rolle spielten. Hinzukam in einigen Fällen eine mögliche Überfunktion des betroffenen Augenmuskels. Die Patienten wurden zunächst durch eine Prismenkorrektur behandelt. Bei einem Großteil der Patienten führte die Prismenkorrektur zur gewünschten dauerhaften Diplopiefreiheit. Eine Schieloperation wurde bei 17 der 40 Patienten bei persistierendem Strabismus mit binokularer Diplopie mit dem Ziel der Diplopiefreiheit durchgeführt. In der vorliegenden Studie war die Retro- bzw. Peribulbäranästhesie die häufigste Ursache des Strabismus mit binokularer Diplopie.5
Die Myotoxizität der Lokalanästhetika als Ursache für Augenmotilitätsstörung nach Katarakt-Operation
Es ist bereits seit Jahrzehnten bekannt, dass Lokalanästhetika mit einer myogenen Schädigung einhergehen können. Diese Schädigungen können sogar in Myonekrosen resultieren. Die Erforschung der Pathophysiologie der myotoxischen Effekte von Lokalanästhetika wurde in experimentellen Tiermodellen auf zellulärer und molekularer Ebene intensiv erforscht. Postoperative Dysfunktionen der Muskulatur bei lokoregionären Verfahren sind auf die Verwendung von Lokalanästhetika zurückzuführen. Die einzelnen Lokalanästhetika unterscheiden sich deutlich in ihrer Myotoxizität. Spitzenreiter bei der Verursachung von Muskelläsionen ist das Lokalanästhetikum Bupivacain. Auf der anderen Seite des Spektrums sind die beiden Lokalanästhetika Procain und Tetracain anzutreffen. Die beiden letzteren gehen mit dem geringsten myotoxischen Risiko einher.6-13 Die Einschränkung der Augenmotilität nach Retro- oder Peribulbäranästhesie bei ophthalmochirurgischen Eingriffen könnte hierauf zurückzuführen sein.6,14-17 Die Myozytenschädigung erklärt man sich durch eine intrazellulär exzessiv gesteigerte Kalzium-Konzentration.6,8,18
Dr. Annabelle Eckert
Referenzen:
1. Kalantzis G. et al. (2014). Post-cataract surgery diplopia: aetiology, management and prevention. Clin Exp Optom. 2014 Sep;97(5):407-10.
2. Koide R. et al. (2000). Diplopia after cataract surgery. J Cataract Refract Surg 2000; 26: 1198– 1204.
3. Schwarz E. Ch. et al. (1999). Kataraktoperation mit Linsenimplantation Strabismus und Diplopie als Komplikation*. Ophthalmologe (1999); 96:635-639.
4. Gunton K. B. et al. (2010). Diplopia in adult patients following cataract extraction and refractive surgery. Curr Opin Ophthalmol. 2010 Sep;21(5):341-4.
5. Rossel-Zemkouo M. J. et al. (2021). Strabismus patterns after cataract surgery in adults. Strabismus. 2021 Mar;29(1):19-25.
6. Zink W. et al. (2007). Myotoxizität von Lokalanästhetika: Experimenteller Mythos oder klinische Wahrheit? Anaesthesist 2007; 56:118–127.
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10. Carlson B. M. et al. (1985) Rat extraocular muscle regeneration. Repair of local anesthetic-induced damage. Arch Ophthalmol 103: 1373– 1377.
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