Basisdiagnostik bei Visusverschlechterung

Die Sehminderung ist der häufigste Grund, aus dem Patientinnen und Patienten eine Augenarztpraxis aufsuchen. Verschiedene Faktoren wie das Patientenalter, das zeitliche Auftreten der Visusminderung, die Begleitsymptomatik sowie anamnestisch erhobene Vorerkrankungen bestimmen dann das weitere diagnostische Vorgehen. Dr. Annabelle Eckert über die Basisdiagnostik bei Visusverschlechterung.

© Kalea Jerielle unsplash
© Kalea Jerielle unsplash

Die Kernpunkte der augenärztlichen Basisdiagnostik ab dem 7. Lebensjahr sind in der Leitlinie Nr.4 der BVA und DOG aufgeführt (siehe Tabelle). Bei Vorliegen einer Visusminderung folgt der Anamnese die Erhebung des bestkorrigierten Visus, die Prüfung der Pupillenreaktion, die Spaltlampenmikroskopie der Vorderabschnitte sowie die Funduskopie in Miosis beider Augen. Die Funduskopie erfolgt zunächst in Miosis, da eine perimetrische oder auch eine orthoptische Untersuchung notwendig werden könnte. Anschließend kann nach der Gabe von Mydriatika die funduskopische Beurteilung der Netzhautperipherie erfolgen. 

Augenärztliche Basisdiagnostik ab dem 7. Lebensjahr     
Anamnese   Prüfung der Augenstellung und -beweglichkeit
Inspektion der Augen und ihrer Adnexe   Prüfung auf efferente/afferente Pupillenstörung
Kontrolle vorhandener Sehhilfen   Spaltlampenuntersuchung der vorderen und mittleren Augenabschnitte 
objektive Refraktionsbestimmung    Untersuchung des zentralen Augenhintergrundes
monokulare subjektive Refraktionsbestimmung einschließlich Bestimmung der Sehschärfe    Untersuchung des zentralen Augenhintergrundes
binokularer Abgleich bei Brillenverordnung    Tonometrie ab dem 40. Lebensjahr bzw. bei Glaukomverdacht oder -disposition
subjektive Bestimmung der Nahrefraktion bei Beschwerden und ab etwa dem 40. Lebensjahr   Dokumentation, Befundbesprechung und Beratung

Tabelle : Die Leitlinie Nr.4 von BVA und DOG empfiehlt das in dieser Tabelle dargestellte Vorgehen als augenärztliche Basisdiagnostik ab dem 7. Lebensjahr. Der Inhalt der Tabelle 1 wurde komplett als Zitat aus der Leitlinie Nr.4 der BVA und DOG übernommen.1

Die Sehminderung kann abhängig von ihrem zeitlichen Auftreten und ihrer Ätiologie in verschiedene Kategorien unterteilt werden. Sie kann akuter oder auch chronischer Natur sein. Die Ätiologie umfasst Erkrankungen des gesamten optischen Apparats. So kann sich die ätiologisch–topographische Lokalisation einer akuten Sehminderung an Strukturen des dioptrischen Apparats, im Bereich des Sehnervens, an der Netzhaut oder auch im Bereich der Sehbahn und des Sehzentrums befinden. Eine zielführende Anamnese ist die Voraussetzung für die weiteren diagnostischen Schritte zur Bestimmung der korrekten Ursache der Sehminderung. Im einfachsten Fall kann einer Visusminderung eine Refraktionsanomalie zugrunde liegen. Ab einem Alter von 50 Jahren stellt die Katarakt die weltweit häufigste Ursache für eine Visusminderung dar. An zweiter Stelle steht das Glaukom gefolgt von der Refraktionsanomalie, der altersbedingten Makuladegeneration und der diabetischen Retinopathie.2

Das zeitliche Auftreten sowie die Ausprägung der Visusminderung sind entscheidend für das weitere Vorgehen der ophthalmologischen Diagnostik. Es gibt Formen der akuten Sehminderung, die ein sofortiges Handeln sowie eine interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig machen. Der Zentralarterienverschluss und eine akute Visusminderung aufgrund eines Apoplex im Bereich des Okzipitallappens sind solche Formen.3 Zu weiteren Ursachen einer akuten Visusminderung zählen der Zentralvenenverschluss, die anteriore ischämische Optikusneuropathie, die Makulablutung, die Glaskörperblutung, eine Netzhautablösung im Makulabereich sowie okuläre Verletzungen und Verätzungen.

Diagnostik bei Vorliegen einer vaskulären Ursache einer akuten Visusminderung

Bei rund 37 % der Patientinnen und Patienten ist der Zentralvenenverschluss mit einer erhöhten Mortalitätsrate assoziiert. 19,5-25% der Patienten mit einem Zentralarterienverschluss besitzen ein besonders erhöhtes Risiko für ein apoplektisches Ereignis. Bei Vorliegen eines Zentralvenenverschluss liegt das Risiko für einen Schlaganfall bei 6,5 %. Diese Zahlen machen uns deutlich wie wichtig das interdisziplinäre Vorgehen bei Vorliegen einer akuten Sehminderung mit vaskulärer Genese ist. Daher sollte der Augenarzt den Patienten umgehend an den entsprechenden ärztlichen Kollegen bzw. an die Stroke Unit überweisen.4,5 

Beim Zentralarterienverschluss gibt es ein sehr kleines Zeitfenster von nur 4,5 Stunden für den Therapieversuch mittels Rekanalisierung. Bereits 4,5 Stunden nach Gefäßokklusion kann es zu einer dauerhaften Schädigung der inneren Netzhautschichten kommen. Zu diesem Ergebnis kam die Forschungsgruppe um Hayreh S. nach der Untersuchung von 63 Augen der Spezies Rhesus-Affe im Jahr 1980.6 Die intravenöse Thrombolyse mit niedrig dosiertem rTPA zeigte in einer prospektiven Studie aus dem Jahr 2019 Wirksamkeit bei den 13 menschlichen Probanden.7 

Die Leitlinie des BVA für die Therapie retinaler arterieller Verschlüsse empfiehlt folgendes Vorgehen: Bei einer Amaurosis fugax oder dem Verdacht auf einen retinalen Arterienverschluss sollte die augenärztliche Erstuntersuchung folgende Punkte umfassen: Neben einer ausführlichen Anamnese und der Erhebung der bestkorrigierten Sehschärfe ist es wichtig die Pupillenreaktion auf eine afferente oder efferente Pupillenstörung zu prüfen. Die Temporalarterie sollte inspiziert und palpiert werden, um eine Arteriitis temporalis auszuschließen.8 

Die Riesenzellarteriitis ist die am häufigsten vorkommende systemische Vaskulitis bei Personen mit einem Lebensalter >50 Lebensjahren. Bei Verdacht auf eine Riesenzellarteriitis sollte in der Anamnese nach einer B-Symptomatik, Kopf-, Kämm- oder Kauschmerzen gefragt werden. Dieser Symptomkomplex liegt bei rund 33 % der Patientinnen und Patienten mit Arteriitis temporalis vor. Bekräftigen die anamnestisch erhobenen Daten den Verdacht auf eine Arteriitis temporalis sollte umgehend die Messung des C-reaktives Proteins und der Blutsenkungsgeschwindigkeit erfolgen. Eine Verzögerung der Diagnostik und der Therapieeinleitung kann mit einem irreversiblen Visusverlust und einer Mitbeteiligung des Partnerauges einhergehen.9 Bei einer plötzlichen schmerzhaften Visusminderung sollte immer an einen Glaukomanfall gedacht werden und folglich der Augeninnendruck gemessen werden. Bei Visusminderung und Augenbewegungsschmerz besteht der Verdacht auf eine Neuritis nervi optici.

Basisdiagnostik bei Vorliegen einer chronischen Sehverschlechterung

Bei einer chronischen Sehverschlechterung sind verschiedene Ursachen hierfür denkbar. Die Visusverschlechterung kann degenerativ, metabolisch, neurologisch oder entzündlich bedingt sein. Zuallererst wird die Anamnese erhoben und der bestkorrigierte Visus für beide Augen bestimmt. Meist zeigt sich die Ursache nach Untersuchung mittels Spaltlampenmikroskopie, Funduskopie und Messung des Augeninnendrucks. Beispiele für eine degenerativ bedingte Visusminderung sind die altersbedingte Makuladegeneration, die Katarakt und die Hornhautdystrophie.

Das Glaukom kann zu einer chronischen aber auch zu einer akuten Visusminderung führen. Zusätzlich zu der Bestimmung der bestkorrigierten Sehschärfe und des Augeninnendrucks sollte eine perimetrische Untersuchung beider Augen erfolgen. Zu den Ursachen für eine neurologisch bedingte Sehminderung gehört die Multiple Sklerose, Tumoren im Bereich der Sehbahn und des Sehzentrums sowie Tumoren im Bereich der Hypophyse. Bei Vorliegen einer idiopathischen interkraniellen Hypertension kann es zu einer Visusminderung,  Stauungspapillen und einer Vergrößerung des blinden Flecks kommen.10-12

Dr. Annabelle Eckert

Referenzen:
1. http://augeninfo.de/leit/leit04.htm
2. GBD 2019 Blindness and Vision Impairment Collaborators; Vision Loss Expert Group of the Global Burden of Disease Study. Causes of blindness and vision impairment in 2020 and trends over 30 years, and prevalence of avoidable blindness in relation to VISION 2020: the Right to Sight: an analysis for the Global Burden of Disease Study. Lancet Glob Health. 2021 Feb;9(2):e144-e160. doi: 10.1016/S2214-109X(20)30489-7. Epub 2020 Dec 1. Erratum in: Lancet Glob Health. 2021 Apr;9(4):e408. 
3. Muth CC. (2017). Sudden Vision Loss. JAMA. 2017 Aug 8;318(6):584.
4. Blair K. et al. (2021). Central Retinal Vein Occlusion. 2021 Jun 29. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2021 Jan. PMID: 30252241.
5. Woo S. C. et al. (2016). Associations of retinal artery occlusion and retinal vein occlusion to mortality, stroke, and myocardial infarction: a systematic review. Eye (Lond). 2016 Aug;30(8):1031-8.
6. Hayreh S. S. et al. (1980). Central retinal artery occlusion and retinal tolerance time. Ophthalmology. 1980 Jan;87(1):75-8. 
7. Palka K. et al. (2019). Intravenous thrombolysis with low dose plasminogen for treatment of central retinal artery occlusion (CRAO). Investigative Ophthalmology & Visual Science July 2019, Vol.60, 2585. 
8. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/045-013l_S2e_Retinale_Arterienverschluesse_2017-08.pdf
9. Ameer M. A. et al. (2021). Temporal Arteritis. [Updated 2021 May 8]. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2021 Jan.
10. Boyter E. (2019) Idiopathic intracranial hypertension. JAAPA. 2019 May;32(5):30-35. 
11. Wilhelm H. et al. (2015).The Diagnosis and Treatment of Optic Neuritis. Dtsch Arztebl Int. 2015;112(37):616-626. doi:10.3238/arztebl.2015.0616
12. Kerrison J. B. et al. (2000). Stages of improvement in visual fields after pituitary tumor resection. Am J Ophthalmol. 2000 Dec;130(6):813-20.