AMD – Neue Therapien, neue Terminologie
Eine erste Therapie für geografische Atrophie (GA), das Port Delivery System (PDS) mit Ranibizumab oder eine neue AMD-Nomenklatur – der diesjährige Kongress der DOG bot zahlreiche spannende Vorträge zum Thema altersbedingte Makuladegeneration. Hier stellen wir Ihnen eine Auswahl der interessantesten Beiträge vor.
Im diesjährigen AMD-Update der DOG widmete sich Prof. Horst Helbig (Regensburg) u. a. der ersten Therapie der atrophen AMD sowie aktuellen Erkenntnissen in Sachen Gentherapie und nicht zuletzt einer neuen Nomenklatur, die auf den Erkenntnissen der multimodalen Bildgebung beruht.
Komplement-Inhibitoren: erste Therapie der atrophen AMD
Das Komplementsystem ist ein Teil des angeborenen Immunsystems und gehört wie das Gerinnungssystem zu den enzymatisch katalysierten Proteinkaskadensystemen. Eine übermäßige Aktivierung der Komplementkaskade führt zur Zerstörung gesunder Zellen. Zahlreiche Studien weisen auf eine zentrale Rolle des Komplementsystems in der Ätiologie der AMD hin. Eine genetisch determinierte, pathologisch erhöhte systemische Komplementaktivierung könnte starke Auswirkungen auf die alternde Makula haben und zu vielfältigen Veränderungen einschließlich pathologischer Ablagerungen in der subretinalen extrazellulären Matrix führen.
Pegcetacoplan ist ein Komplementfaktor C3 Inhibitor. In einer Studie wurden festgestellt, dass unter Pegcetacoplan die Zunahme der Atrophiefläche geringer war als unter Sham. Die Behandlung scheint einige Monate zu brauchen, bis sich ein Effekt zeigt. Nach Absetzen nimmt die Atrophie mit der gleichen Geschwindigkeit wie vor der Behandlung wieder zu. Auf der EURETINA 2021 wurden erste Ergebnisse zu Pegcetacoplan aus den DERBY and OAKS Studien präsentiert. Sie berichten von einem signifikanten Effekt: Die Zunahme der GA Läsionen wurde um ca. 15 % reduziert. In der Subgruppe, bei der die GA nicht die Fovea selbst betraf, lag der Effekt bei 25 %.
Avacincaptad wirkt auf den C5 Faktor. Auch hier zeigt eine Phase 2 Studie einen statistisch signifikanten Effekt: Die Zunahme der GA ließ sich nach einem Jahr um ein Viertel reduzieren. Aktuell läuft die Rekrutierungsphase für die internationale, multizentrische und klinische Phase III Studie ISEE2008/GATHER2.
Bei beiden Medikamenten traten allerdings dosisabhängige Nebenwirkung in Form makulärer Neovaskularisationen (MNV) auf.
Gentherapien bei AMD
Bei der Leberschen kongenitalen Amaurose, einer monogenetischen Erkrankung, ist eine Gentherapie bereits verfügbar. Die AMD ist dagegen eine komplexere Erkrankung. Im Augenblick laufen Studien sie sich verschiedenen gentherapeutischen Ansätzen widmen: Zum einen – bei Atrophie – Genen, die Komplement-Inhibition produzieren und zum anderen Genen, die Anti-VEGF oder Anti-Angiopoietin produzieren. Angiopoetine sind Wachstumsfaktoren, die die Angiogenese, die Einsprossung von Blutgefäßen in Gewebe, steuern. Neben VEGF-A spielen sie bei der Entstehung von Netzhauterkrankungen wie AMD oder DMÖ eine bedeutende Rolle.
Das derzeit beste Vehikel, um das Gen in die Zelle zu transportieren, scheint der Adeno-assoziierte virale Vektor AAV zu sein. Die Einbringung ins Auge kann subretinal, intravitreal oder suprachoroidal geschehen. Erste Versuche zur nAMD-Therapie laufen: ADVM-022 wird intravitreal für die kontinuierliche Verabreichung von Aflibercept appliziert. RGX-314 wird subretinal gegeben und codiert ein Ranibizumab-ähnliches Protein.
Gegen atrophe AMD kommt das Komplementfaktor I Gen GT005 zum Einsatz. Bei der Mehrheit der Patienten führte es zu einem nachhaltigen Anstieg des Levels des Komplementfaktors I (CFI) im Glaskörper sowie zu einem Rückgang der nachgeschalteten Komplementproteine, die mit einer Überaktivierung des Komplementsystems in Verbindung gebracht werden. Es bedarf allerdings noch intensiver Forschungen, bis diese Methoden evtl. ihren Platz im klinischen Alltag finden werden.
Neue Nomenklatur
Die rasante Entwicklung der multimodalen Bildgebung hat das Verständnis für die pathophysiologischen Abläufe bei der AMD-Entstehung deutlich verbessert. Diese neuen Erkenntnisse erfordern auch eine neue Nomenklatur. Ein internationales Expertengremium erstellte ein Konsensuspapier, das wesentliche degenerative Merkmale einer AMD definiert. Die Experten schlagen eine differenzierte Nomenklatur zur Beschreibung der im OCT sichtbaren Atrophieanzeichen vor. Die Nomenklatur geht davon aus, welche Netzhautschichten betroffen sind und ob die Atrophieanzeichen vollständig oder unvollständig sind:
- cRORA und iRORA beschreiben eine Atrophie des RPE und der äußeren Netzhautschichten (RORA = RPE and outer retinal atrophy; c = complete; i = incomplete)
- cORA und iORA beschreiben eine Atrophie lediglich der äußeren Netzhaut (ORA = outer retinal atrophy; c = complete; i = incomplete)
Auch bei der nAMD arbeiten Experten an einer neuen Terminologie, die auf den Erkenntnissen der multimodalen Bildgebung basiert. Sie liefert eine hochaufgelöste, schichtweise Visualisierung des Mikrogefäßsystems von Netzhaut und Aderhaut, was eine präzise Zuordnung der Neovaskularisationen zu bestimmten retinalen Schichten ermöglicht. Gemäß der vorgeschlagenen, neuen Nomenklatur unterscheidet man:
- makuläre Neovaskularisationen (MNV) Typ 1 statt okkulter choroidaler Neovaskularisation (CNV)
- makuläre Neovaskularisationen (MNV) Typ 2 statt klassischer choroidaler Neovaskularisation (CNV)
- makuläre Neovaskularisationen (MNV) Typ 3 statt retinaler angiomatöser Proliferation (RAP)
Bei Typ 1 liegen die Gefäßproliferationen unterhalb des retinalen Pigmentepithels (RPE), bei Typ 2 oberhalb des RPE. Für den MNV Typ 3 wurde mittels OCTA ein Ursprung im tiefen retinalen Gefäßplexus belegt – und nicht wie bislang angenommen in der Aderhaut.
Therapie der neovaskulären AMD
Brolucizumab ist in Deutschland seit März 2020 zugelassen. Das humanisierte monoklonale Antikörperfragment hat eine vergleichsweise geringe Molekülmasse, was die Applikation großer molarer Dosen ermöglicht. Das Arzneimittel wird intravitreal verabreicht. Aufgrund seiner Wirksamkeit scheint es ein aussichtsreiches Medikament auch bei der Behandlung therapierefraktärer Patienten zu sein. Allerdings traten auch seltene schwere Nebenwirkungen wie intraokulare Entzündungen mit Gefäßverschlüssen auf.
Auf der DOG stellten Dr. Marius Book (Münster) und Dr. Pascal Weber (Ludwigshafen) Ergebnisse zweier klinischer Studien zum Therapieresponse bei behandlungsrefraktärer nAMD nach Switching auf Brolucizumab vor. Untersucht wurden Patienten, bei denen aufgrund von persistierender intraretinaler, subretinaler oder subpigmentepithelialer Flüssigkeit nach Vorbehandlung eine Umstellung auf Brolucizumab erfolgte. Bereits nach 3-maliger Injektion wurde eine ausgeprägtere Flüssigkeitsreduktion sowie eine statistisch signifikante Reduktion der zentralen Netzhautdicke beobachtet werden. Dabei zeigte sich allerdings keine signifikante Verbesserung des Visus. In Münster traten in zwei Fällen intraokulare behandlungsassoziierte Entzündungen in Form einer anterioren Uveitis auf.
Neue Studie zu Faricimab
Der bispezifische Antikörper Faricimab soll sich durch ein längeres Dosierungsintervall auszeichnen. Die Ergebnisse einer Phase-III-Studie zeugen von einer guten Wirksamkeit bei nAMD und diabetischem Makulaödem (DMÖ). Im Gegensatz zu den derzeitigen Therapien für nAMD und DMÖ, die nur den VEGF-Signalweg hemmen, zielt Faricimab über Angiopoietin-2 (Ang-2) und VEGF auf zwei verschiedene Signalwege ab. Der Antikörper wurde speziell für die intravitreale Anwendung entwickelt. Die Zulassung in den USA ist beantragt, in Europa steht die Beantragung noch aus.
Prof. Andreas Stahl (Greifswald) stellte in seinem Vortrag Ergebnisse der Phase3-Studien TENAYA und LUCERNE zur Wirksamkeit, Sicherheit und Wirkdauer von Faricimab im Vergleich zu Afibercept in Woche 48 vor. Afibercept wurde in einem festen Schema alle 8 Wochen verabreicht. Faricimab im Treat-and-Extend-Schema. In beiden Studien landeten ca. 20 % der Patienten im 8-wöchigen Rhythmus, ca. ein Drittel in 12-wöchigen und 45 % im 16-wöchigen Rhythmus. In Bezug auf Visus und morphologische Ergebnisse ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Faricimab und Afibercept. In beiden Studien war Faricimab gut verträglich. Die Ereignisraten für intraokulare Entzündungen waren niedrig. Es traten keine Fälle von retinaler Vaskulitis oder okklusiver Retinitis auf. Faricimab könnte also Behandlungslast für nAMD-Patienten bei gleicher Wirksamkeit reduzieren. Die Langzeitstudie AVONELLE-X wird 4-Jahres-Daten zu dem Antikörper generieren.
Port Delivery System (PDS) mit Ranibizumab
Prof. Frank Koch (Frankfurt) präsentierte Sicherheits- und Wirksamkeitsergebnisse der Phase-3-Studie ARCHWAY mit dem Port Delivery System (PDS) mit Ranibizumab bei nAMD. Das PDS mit Ranibizumab ist ein intraokuläres Implantat, das operativ über die Pars plana eingesetzt wird und den Wirkstoff kontinuierlich in den Glaskörperraum abgibt. Es kann minimal-invasiv nachgefüllt werden. Ziel ist die Verringerung der Therapiebelastung für den Patienten. In der randomisierten Studie erhielten vorbehandelte nAMD-Patienten, die auf Anti-VEGF ansprachen, das PDS mit Ranibizumab 100 mg/ml und Nachfüllungen in festen 24-wöchigen Abständen oder monatliche intravitreale Injektionen von Ranibizumab 0,5 mg.
Bei Patienten im PDS-Arm der Studie blieb der Visus über 72 Wochen bzw. 3 Nachfüllintervalle stabil. Die Veränderung der zentralen Netzhautdicke (CPT) war ebenfalls vergleichbar. Auch nach Woche 44/48 war PDS dem monatlich intravitreal injizierten Ranibizumab nicht unterlegen. Der PDS Arm wies über eine mittlere Therapiedauer von 78 Wochen ca. 5-mal weniger Ranibizumab-Behandlungen auf und hatte zudem ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil. Die Patientenzufriedenheit mit PDS war hoch: 90 % hatten eine sehr starke oder ziemlich starke Präferenz für das neue System. Weitere Studien zu PDS laufen – nicht nur für nAMD, sondern auch für DR und DMÖ.
Quelle: DOG Kongress
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